Drei Schritte ZUR BALANCE

 

Autor/in: Peter Zaiser (Dipl. Lebensberater, Pastor und Seelsorger)
Ausgabe: Leben & Gesundheit, September/Oktober 2024 - Mäßigkeit

Wie kann ein ausgewogener und glücklich machender Lebensstil in einer rasch zunehmend hektischen und unmäßigen Welt gelingen?

Marco und Maria wohnen in der Nähe von Zürich. Sie haben zwei Söhne, Fabian und Patrick. Vater Marco hat seit einiger Zeit eine eigenartige Angewohnheit. Morgens geht er, noch im Pyjama, zum Postkasten und sieht nach, ob für ihn ein Brief gekommen ist. Wenn er sich anschließend an den Frühstückstisch setzt, steht er nach kurzer Zeit wieder auf und geht hinaus. Er läuft gefühlt alle zehn Minuten vor das Haus, auch an freien Tagen, wenn gar keine Post kommt. Maria beschwert sich bei ihm, denn sie bemerkt, dass sie und ihre Kinder sich kaum mit ihm in Ruhe unterhalten können.

Was ist los mit Marco? Wir würden denken, dass er einen Tick hat und mit ihm ganz sicher etwas nicht in Ordnung ist.

«ANDERE» GEWOHNHEITEN ...
Übertragen wir dieses Verhalten auf eine weit verbreitete Gewohnheit, die sich in unsere Gesellschaft eingeschlichen hat – der ständige Blick auf das Handy. Wie bewerten wir beispielsweise dieses Verhalten?

Der Übergang von einer schlechten Gewohnheit zu einem Suchtverhalten ist fließend. Die schädliche Auswirkung von unmäßigem Verhalten hinterlässt in Beziehungen und im persönlichen psychischen Zustand Spuren und Schäden. Dabei ist der oft maßlose Umgang mit Medien nur ein Beispiel unter vielen. Jedes Verhalten kann betroffen sein, eine ewig lange Liste könnte angeführt werden.

WOHER KOMMT DER DRANG ZUR UNMÄßIGKEIT?
Bei allem Nachsinnen über solch bedeutende Fragen dürfen wir die Wirkung der Werbung nicht unterschätzen. Die Wirtschaft lebt unter anderem davon, dass wir unzufrieden sind und mehr kaufen und konsumieren, als wir brauchen. Das Thema der Mäßigkeit bezieht sich auf Dinge, die an sich nicht schädlich sind, aber durch Unmäßigkeit schädlich werden.

Bezüglich Gebrauchs von Drogen, Alkohol und Nikotin ist aus meiner Sicht eher totale Enthaltsamkeit zu empfehlen. Denn schlussendlich macht es ja keinen Sinn, etwas mäßig zu konsumieren, was mich und andere um mich herum offensichtlich schädigt und abhängig macht.

Wir werden von außen bombardiert, das Glück in der Unmäßigkeit zu suchen und dabei spielt auch unsere Denkweise und unser psychischer Zustand eine wesentliche Rolle. Ausgangspunkt der Unmäßigkeit ist eine bewusste oder unbewusste Unzufriedenheit. So sagte eine Frau: «Nach der Scheidung habe ich begonnen, fast täglich Kleider zu kaufen!» Eine andere Frau verlor ihren Mann durch einen Unfall. In ihrer Wohnung häuften sich Zeitungen, Kleider, Deko, Geschirr und vieles mehr an, bis die Wohnung komplett vermüllte. Es ist bekannt, dass Verlusterfahrungen zu einer tiefen Frustration führen und das Messie-Syndrom hervorbringen können.

Ein erfolgreicher Geschäftsmann vereinsamte und begann bei Wettspielen sein ganzes Geld zu verprassen. Trotz des Reichtums entwickelte sich ein Sinnlosigkeitsgefühl und führte zu einem Suchtverhalten.

Unmäßigkeit kann sich auch in extremistischen politischen und religiösen Ansichten äußern. Einfache Antworten können nach Enttäuschungen trösten und das Gefühl geben, die Welt und ihre Geschehnisse zu verstehen.

Welcher Auslöser auch immer zur Unmäßigkeit führt, letztlich ist es meiner Ansicht nach eine tiefsitzende Unzufriedenheit, die zu unmäßigem Verhalten beziehungsweise zur Sucht führt. Frustrationen und Verletzungen können wir verdrängen. Das macht sie aber nicht unwirksam, sondern sie können umso mehr zu einem Suchtverhalten führen.

Machen wir gute Gewohnheiten zur Routine.

DREI PFEILER DER AUSGEGLICHENHEIT

Gerne möchte ich auf drei positive Aktivitäten und Haltungen eingehen, die uns helfen können, in einer gesunden Balance zu bleiben. Sie verlagern sich ebenfalls von der bewussten Wahrnehmung in unser Unterbewusstsein und bilden ein bestimmtes Lebensgefühl.

1. DANKEN – DAS GUTE WAHRNEHMEN
Unmäßigkeit ist die Fixierung auf eine einzige Aktivität, die mir Glück und Zufriedenheit bringen soll. Es ist, als wenn ich auf einem Klavier mit 88 Tasten immer nur eine einzige Taste anschlage. Unmäßigkeit ist Reduktion der vielfältigen Freuden und Genüsse des Lebens. Dankbarkeit hilft, die «anderen Tasten» wahrzunehmen und freudig darauf zu spielen.

Danken für die alltäglichen Geschenke.
Danken für die vielen kleinen und großen Freuden des Lebens.
Danken für die Menschen, die mich schätzen und mein Bestes wollen.
Danken für die heilsame Wirkung von einfachen Möglichkeiten, wie die Stille in der Natur oder die Freuden eines Spaziergangs.

Dankbarkeit hilft mir, bewusster in der Gegenwart zu leben und den hastigen Genuss zu vermeiden. Dankbarkeit fördert Zufriedenheit und damit ein gesundes Gleichgewicht bezüglich aller Lebensbereiche. Deshalb wäre ein erster praktischer Schritt, sich jeden Tag fünf Geschenke des Alltages in ein Buch der Dankbarkeit zu schreiben.

2. DIENEN – FÜREINANDER DA SEIN
Unmäßiges Verhalten hat das Ich zum Mittelpunkt. «Entweder wird die Betäubung gesucht, um einem schweren Schicksal nicht ins Auge sehen zu müssen, oder es wird die Illusion gesucht, um eine Leere im Leben zu füllen. Entweder ist die Not untragbar geworden oder es ist die Langeweile unerträglich geworden. Beide Extreme, Not und Leid wie Überfluss und Überdruss, verführen zur (chemischen) Abwendung von der Wirklichkeit.»¹

Der Sinnverlust in der Not und im Wohlstand fördert süchtiges und unmäßiges Verhalten.
Eine Gesellschaft, in der der Einzelne hauptsächlich für sich lebt, ist trotz Wohlstand suchtgefährdet. Erst durch die Hinwendung auf das Du, das Gegenüber, entsteht eine tiefe innere Zufriedenheit. «Geben ist seliger als nehmen», so hat es Jesus ausgedrückt² und in der Logotherapie spricht man vom Sinn des Lebens, der sich in der Hingabe an jemand oder etwas äußert.

3. DENKEN – ÜBER SEIN LEBEN REFLEKTIEREN
Es gehört Mut dazu, sich über sein Verhalten Gedanken zu machen. Gerne verdrängen wir Unmäßigkeit. Die Reflexion über das eigene Leben ist ein wichtiger Lernprozess, der unsere Gesundheit und unsere Beziehungen maßgeblich beeinflusst.

Die Gefahr, immer wieder von Neuem in unmäßiges Verhalten hineinzurutschen, bleibt ein Leben lang bestehen. Deshalb sind Selbstreflexion und das Suchen nach Ausgleich und Balance wichtig und wertvoll.

Fragen zur Selbstreflexion:
• Wie wirkt sich mein Verhalten auf mein Gefühlsleben aus?
• Welchen Einfluss hat mein Verhalten auf meine Beziehungen?
• Welche Werte sind mir wichtig?
• Welche ersten Schritte möchte ich gehen, falls ich merke, dass ich in einem Bereich meines Lebens einseitig und unmäßig bin?
• Mit wem kann ich darüber sprechen?
• Möchte ich mir professionelle Hilfe holen?

Diese drei Säulen – Danken, Dienen und Denken – werden meine innere Balance fördern und mir helfen, extreme Verhaltensweisen zu vermeiden oder zu reduzieren. Maßhalten ist kein Opfer, sondern ein Weg, um Freiheit, Gesundheit und gesunde soziale Beziehungen zu fördern.

Geben ist seliger als nehmen.
— Bibel: Apg. 20, 35

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ZU EINER KULTUR DER MÄßIGUNG -Kann der Mensch sich mäßigen?

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