IM SCHATTEN DER HITZE: Wie die Klimaveränderung unsere Gesundheit beeinflusst
Autor/in: Dr. Carsten Stephan (Geschäftsführer, Team Gesundheit GmbH)
Ausgabe: Leben und Gesundheit, Juli / August 2024 - Sonne
Hitzewellen, Unwetter und so manche anderen Dinge werden unseren Alltag zunehmend verändern. Schon heute sind die Auswirkungen deutlich spürbar – auch auf unsere Gesundheit.
Zwar sehnen wir in jedem trüben Winter den Tag herbei, wenn die Sonne wieder unseren Körper aufwärmt und unsere Stimmung sowie den Vitamin-D-Spiegel steigen lässt. Doch spüren wir seit einigen Jahren immer häufiger, dass mit der Sonne auch die Hitze kommt. Denn unser Klima wird heißer.
HEIßES EUROPA
Die Folgen der Klimaveränderung sind vielfältig. Schon jetzt können wir einen deutlichen Anstieg von Hitzeperioden registrieren. So war das Jahr 2023 laut dem EU-Klimabericht eines der heißesten seit Beginn der Aufzeichnungen. Europa erwärmt sich zudem seit den 1980er Jahren doppelt so schnell im Vergleich zum globalen Durchschnitt. Damit ist es der sich am schnellsten erwärmende Kontinent der Erde. Auch das laufende Jahr 2024 setzt die Rekorde fort: Januar, Februar und März waren die wärmsten Monate seit Beginn der Aufzeichnungen.
In vielen Regionen ist es im Sommer inzwischen oft schon am Vormittag so heiß, dass die meisten Menschen lieber im Schatten bleiben, als sich der prallen Sonne auszusetzen. Und unlängst hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Erderwärmung zu einer der größten Gefahren für die menschliche Gesundheit in den kommenden Jahrzehnten erklärt.
Stark erhöhte Temperaturen stressen unseren Körper. Das kann zu Beschwerden wie Schlafstörungen, Muskelkrämpfen, Kreislaufkollaps oder Atemproblemen führen. In nahezu allen Teilen der Welt hat die Anfälligkeit für solche Leiden in den vergangenen Jahren zugenommen.
ENDE APRIL
Das Thermometer zeigt 27 Grad Celsius. Und obwohl die Sonnenstrahlen unsere Nase kitzeln, auf unserer Haut eine besondere Wärme hinterlassen und die Sonne sich nachweislich positiv auf unser Wohlbefinden auswirkt, trübt etwas die Stimmung. Es ist für diese Jahreszeit bereits zu warm. Die Wetter-App zeigt, dass die Temperatur 11 Grad Celsius über dem durchschnittlichen Tageshöchstwert liegt. Ja, die Sonne macht uns glücklicher und wacher. Doch heutzutage ist bei den meisten das Verhältnis zur Sonne wohl eher zwiegespalten.
HITZEREAKTION
Unser Körper versucht, seine Temperatur indes unabhängig von äußeren Einflüssen konstant bei etwa 37 Grad Celsius zu halten, damit lebenswichtige Stoffwechselvorgänge kontinuierlich ablaufen können. Um dies zu erreichen, verfügt er über einen gut koordinierten Prozess, mit dem er auf Hitze reagiert.
Die Blutgefäße erweitern sich und vergrößern ihre Oberfläche, um möglichst viel Wärme abgeben zu können.
Unser wirksamster Schutzmechanismus vor Überhitzung ist das Schwitzen. Dabei wird Wasser aus dem Blut über die Schweißdrüsen aus dem Körper gepumpt.
Wenn Schweiß auf unserer Haut verdunstet, kühlt das unseren Körper herunter.
Durch die Erweiterung der Blutgefäße sinkt jedoch der Blutdruck. Das Herz-Kreislauf-System ist dann besonders gefordert. Unser Herz muss schneller pumpen und durch die stärkere Durchblutung der Haut werden die inneren Organe mit weniger Blut versorgt. Dies kann zu einer verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit führen. Wir fühlen uns schneller erschöpft.
HITZE WIRD UNTERSCHÄTZT
Solange die Umgebungstemperatur deutlich unter 37 Grad Celsius liegt, funktioniert die körpereigene Kühlung gesunder Menschen problemlos. Doch je mehr heiße Tage sich aneinanderreihen, desto höher steigt das Gesundheitsrisiko, denn unsere Körper sind darauf nicht ausgelegt.
Es werden nicht nur bestehende gesundheitliche Probleme verstärkt, auch ansonsten gesunde Menschen leiden unter den zunehmenden Belastungen. Überhitzung, Wasser- und Elektrolytverlust belasten vor allem das Gehirn, den Kreislauf und die Nieren. Ist die Umgebungstemperatur zu hoch, löst dies gefährliche physiologische Reaktionen im Körper aus.
Das zeigt auch der DAK-Gesundheitsreport zum «Gesundheitsrisiko Hitze: Arbeitswelt im Klimawandel». Demnach gibt es schon Auffälligkeiten beim Krankenstand. Die Zahl der neuen Krankschreibungen für bestimmte Diagnosen entwickelt sich in Hitzeperioden parallel zur Tagesdurchschnittstemperatur.
Doch Probleme mit unserem Denkvermögen zeigen sich, lange bevor wir mit einem Hitzschlag oder einem Sonnenstich ausfallen. Denn das Gehirn als hitzeempfindlichster Teil unseres Körpers steht vor der paradoxen Herausforderung, die Regulation von Hitze zu koordinieren, während es gleichzeitig seine eigenen Aktivitäten drosselt.
Hitze führt also nicht nur zu körperlichem, sondern auch zu psychischem Stress. Deshalb führt Hitzeeinwirkung bereits nach kurzer Zeit zu einer verstärkten Aggressivität und wirkt sich negativ auf kognitive Beeinträchtigungen wie demenzielle Erkrankungen aus.
Hitze macht zudem müde und führt zu mehr Fehlern, zum Beispiel am Arbeitsplatz. Ab einer Temperatur von 30 Grad Celsius nehmen Arbeitsunfälle um 7,4 Prozent zu. Besonders problematisch wird es, wenn auch die Nächte keine Abkühlung bringen und der Körper die so wichtige Erholungszeit nicht optimal nutzen kann.
Bei extremen Hitzebedingungen kann außerdem die Luftqualität beeinträchtigt sein, was bei empfindlichen Personen zu Atembeschwerden führen kann. Symptome können Husten, Atemnot, Brustschmerzen und Reizungen der Atemwege sein. Die Auswirkungen von Hitze werden einfach systematisch unterschätzt.
Um auch mit steigenden Temperaturen langfristig körperlich und mental gesund zu bleiben, sind wir gezwungen, über den Tellerrand hinauszublicken, unsere Lebensweise zu überdenken und innovative Lösungen zu finden.
PRÄVENTION
Auch wenn Senioren, Kinder, Schwangere, Pflegebedürftige und Menschen mit Vorerkrankungen besonders gefährdet sind, sollte niemand die Belastungen durch Hitze unterschätzen. Prävention ist daher entscheidend und erfordert sowohl individuelle als auch systemische Anstrengungen.
Informationen und Aufklärung sind dabei Schlüsselelemente. Denn Menschen müssen erst einmal die Gefahr sowie entsprechende Anzeichen erkennen und möglichst wissen, wie sie sich bei Hitze verhalten sollten. Kommunen, Organisationen, Unternehmen, Schulen oder Kindergärten können hier ein großer Hebel sein – nicht nur, um über die Hitzerisiken und den Zusammenhang zwischen planetarer und menschlicher Gesundheit aufzuklären, sondern auch um schließlich durch klimabewusstes Handeln die Erderwärmung abzuschwächen und von sogenannten Co-Benefits zu profitieren.
Co-Benefits sind Maßnahmen, die sowohl für die Gesundheit des Planeten als auch für die Gesundheit des Menschen von Vorteil sind. Beispielsweise reduziert unmotorisierte Bewegung nicht nur das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck, sondern auch die Treibhausgasemissionen und die Luftverschmutzung. An Hitzetagen sollte man die Mittagshitze natürlich meiden.
LEICHTE KOST UND VIEL WASSER
Gerade Essen und Trinken haben einen enormen Einfluss auf unsere Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden – insbesondere bei Hitze.
Das Durstgefühl setzt erst ein, wenn bereits viel Flüssigkeit verloren wurde. Daher: stündlich ein Glas Wasser trinken – auch wenn man keinen Durst hat.
An heißen Tagen leichtere Mahlzeiten bevorzugen.
Die Ernährung nach der ‹Planetary Health Diet›, die vor allem auf Gemüse und Obst setzt, senkt nicht nur das Risiko für Bluthochdruck, Herzinfarkt und viele andere Krankheiten, sondern ist auch deutlich umweltfreundlicher.
HITZEBELASTUNG MEIDEN
Am Ende ist das Vermeiden der Hitzebelastungen die beste Strategie für die eigene Gesundheit.
Einkäufe, körperliche Aktivitäten oder Sport möglichst in die kühleren Morgen- und Abendstunden verlegen.
Kühlendes Fußbad oder Thermalwasserspray nutzen.
Nur morgens und nachts lüften.
Tagsüber Fenster, Rollläden und Vorhänge geschlossen halten.
Um auch mit steigenden Temperaturen langfristig körperlich und mental gesund zu bleiben, sind wir gezwungen, über den Tellerrand hinauszublicken, unsere Lebensweise zu überdenken und innovative Lösungen zu finden. Das Thema ist bereits im öffentlichen Bewusstsein angekommen, doch eine umfassende Sensibilisierung und Aufklärung ist ein weiterer wichtiger Schritt, um klimabewusste und gesunde Maßnahmen schrittweise gemeinsam umzusetzen.
Wenn wir in einem größeren Rahmen vor allem auf die Co-Benefits setzen, können wir am Ende viel bewegen – für uns und unsere Umwelt.
„Das Durstgefühl setzt erst ein, wenn bereits viel Flüssigkeit verloren wurde. Daher: stündlich ein Glas Wasser trinken – auch wenn man keinen Durst hat.“