Abgucken erwünscht – so kommen wir in Bewegung!

 

Autor/in: Bettina Werner (Physiotherapeutin und Mitarbeiterin beim Deutschen Verein für Gesundheitspflege ,DVG)

Ausgabe: Leben und Gesundheit, Februar/2014 - Bewegung

 

Kennen Sie das auch noch aus Ihrer Schulzeit? Man schreibt eine Klassenarbeit, hat sich mehr oder weniger gut vorbereitet und verspürt doch den grossen Drang, beim Nachbarn abzugucken. Wehe aber, wenn man vom Lehrer erwischt wird! Dann gibt es einen Verweis, eine schlechte Note und eine Meldung an die Eltern. Da heisst es, gut zu überlegen, ob man diese Folgen in Kauf nimmt oder nicht doch lieber ehrlich und selbstständig seine Arbeit schreibt.

Warum also diese Überschrift? Sollen Sie doch zum Abgucken animiert werden?
Meine Antwort lautet aus vollem Herzen: JA.

Kinder – meine Vorbilder

Ich bin ein grosser Fan von Kindern. Sie anzuschauen und zu beobachten bereitet mir riesige Freude. Als meine eigenen Kinder ganz klein waren, hätte ich stundenlang sitzen können, um das Spiel ihrer kleinen Finger und Zehen zu beobachten. Später amüsierte ich mich köstlich, wenn meine Tochter auf allen vieren durch den Garten robbte oder die Jungs mit Feuereifer auf ihren kleinen Laufrädern um die Wette fuhren. Ich beobachtete sie beim Bauen von Baumhütten und lachte laut, wenn sie ihre Kaninchen im Zickzacklauf wieder einfangen wollten. Sie bauten sich die tollsten Gefährte aus Kinderwagenunterteilen und alten Zinkbadewannen, Flösse aus Holz und Seilen. Sie spielten mit Topfdeckeln, Decken und Tüchern Zirkus, veranstalteten mit einem wassergefüllten Schlauchboot Seeschlachten auf der Wiese, und im Winter wurden mit ganzer Hingabe die schönsten Schneehöhlen gebaut.

Ja, Kind müsste man sein!

Als Kind ist man ständig in Bewegung. Das fängt beim Windelwechsel schon an. Von wegen schön brav still liegen! Strampeln mit den Beinchen ist doch viel schöner! Kinder sind neugierig, erwartungsvoll, abenteuerlustig und begeisterungsfähig. Kinder hüpfen vor Freude, rennen, klettern, schaukeln, springen und toben. Sie fassen an, fühlen, riechen, hören, sehen, reagieren, balancieren und testen aus. Kinder brauchen keine Massen an Spielzeug, sondern ganz alltägliche Dinge wie Wäscheklammern, Pappe, Kartons, Luftballons, Töpfe, Decken, Tücher, alte Klamotten ... Mit ihrer Fantasie bauen sie sich ihre Welt und erobern gleichzeitig ihre Umwelt. Sie denken nicht an Gesundheit und Fitness und haben auch nicht den Wunsch, einen schönen, trainierten Körper zu besitzen. Sie bewegen sich einfach aus dem Grund heraus, weil sie Freude und Spass dabei erfahren wollen. Und genau das ist absolut abguckwürdig!

Seien Sie nicht zu erwachsen, sondern bleiben Sie ein ganzes Stück Kind

Bewegung ist in jedem Altersabschnitt ein wahres Wundermittel. Schon zehn Minuten Bewegung am Tag hebt die Stimmung. Je mehr Sie sich bewegen, desto mehr körpereigene Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, werden freigesetzt. Serotonin macht gute Laune und vertreibt Angstgefühle. Noradrenalin stärkt das Selbstbewusstsein und Dopamin beeinflusst unser körpereigenes Belohnungssystem, sodass Glücksgefühle entstehen. Ganz nebenbei werden auch noch Stresshormone abgebaut.

Durch Bewegung können wir unseren Körper bewusst erleben und lernen, besser mit ihm umzugehen. Balancieren auf der Bordsteinkante des Fussweges, auf einem umgestürzten Baumstamm oder auf einer gedachten Linie stärkt das Körpergleichgewicht. Das Schwingen eines Hula-Hoop-Reifens um die Hüfte fördert die Beweglichkeit. Die Fortbewegung mit einem Hüpfball macht Spass und trainiert die Gesäss- und Beinmuskulatur. Sich mit verbundenen Augen in der eigenen Wohnung zurechtzufinden, sensibilisiert die innere Wahrnehmung und stärkt die Bewegungssicherheit. Es gibt unendlich viel zu entdecken und zu erforschen. Eine kindliche Lebensensicht (bitte nicht zu verwechseln mit kindisch) bereichert und macht froh. Das Leben wird bunter, reicher, staunenswerter und fröhlicher. Probieren Sie es aus!

Unser Körper – ein Wunder – will bewegt sein

Unser Körper ist auf das Wunderbarste für Bewegung eingerichtet. Er besteht aus einem ausgeklügelten System von miteinander arbeitenden Knochen, Muskeln, Bändern und Gelenken. Etwa 650 Muskeln stehen im Wechselspiel mit 206 Knochen und sind für jede Bewegung unseres Körpers verantwortlich. Es herrscht ein perfektes Zusammenspiel. Der Körper nimmt davon aus, dass alle Muskeln, Knochen, Bänder usw. gebraucht werden. Wenn man aber den ganzen Tag sitzt und keinen Sport treibt, verordnet man seinem Körper ein «Sparprogramm». Alles, was nicht benutzt wird, baut er ab, weil es vermeintlich nicht benötigt wird. Das heisst: Die Muskeln verlieren ihre Kraft, ihre Länge und ihre Dehnbarkeit. Dies wiederum beeinträchtigt die Position und kann zu entsprechenden Folgebeschwerden führen.

Tägliche Bewegung und Sport erhöhen die Spannung und Geschmeidigkeit der Muskeln. Der Muskelaufbau wird gefördert und somit das Knochengerüst vor Fehlbelastungen bewahrt. Eine kräftige Muskulatur kann die Knochen und Gelenke optimal abstützen.

Plus, plus, plus …

Ein weiterer Vorteil regelmässiger Bewegung liegt darin, dass dadurch das Herz stärker und leistungsfähiger wird und vergrössert werden kann. Ein durch Training grösseres Herz ist gesünder und kräftiger. Bewegung intensiviert auch die Atmung. Zwerchfell und Zwischenrippenmuskeln arbeiten verstärkt. Die Lunge kann sich mehr ausdehnen und wird somit tiefer belüftet. Es wird mehr Sauerstoff aufgenommen. Dadurch steigt der Sauerstoffgehalt des Blutes an. Das wiederum fördert die Sauerstoffversorgung der Muskulatur und erhöht die Leistungsfähigkeit des Körpers und des Geistes.

Die Ausdauer wird gefördert, Konzentrationsfähigkeit und Körperbewusstsein verbessern sich. Stimmung und Selbstwertgefühl steigen an und die individuelle Kreativität verbessert sich. Beweglichkeit macht mobil, der Alterungsprozess verlangsamt sich und das Wohlbefinden steigt. Und nicht zuletzt hält eine starke Muskulatur unter der Haut die Gesichtszüge glatt und frisch. Das ist der Traum aller und vollzieht sich ganz ohne Botox. Sicher: Es ist nicht leicht, den inneren Schweinehund zu überwinden und sportlich aktiv zu werden. Wer aber für einen Ausgleich zu seinem Berufsalltag sorgt, wird schnell vielfältige Veränderungen an seinem Körper erleben. Die wohltuende Wirkung eines scheinbar kleinen Pensums an regelmässiger Bewegung ist so umfassend und tiefgreifend, dass man sehr bald ihren Wert zu schätzen weiss.

Wer sich bewegt, bringt nicht nur seinen Körper, sondern auch sein Leben in Schwung.

Wie schaffe ich den ersten Schritt?

Wichtig sind die ersten Schritte, sozusagen der «Anstoss» für den Körper. Wer seinen Körper in Bewegung gebracht hat, dem fällt das Weitermachen leichter, denn der Körper will sich von neu gewonnener Energie, um über kurz oder lang der Freude an der Bewegung, erfahrungsgemäss macht Bewegung allein nicht so viel Freude. Auch in diesem Punkt können wir von den Kindern lernen. Sie suchen sich Freunde und gehen gemeinsam ans Werk. Es liegt also nichts näher, als sich Gleichgesinnte zu suchen und gemeinsam die Freude an der Bewegung zu erleben. Dazu braucht man nicht unbedingt ein Fitnessstudio mit hohen Preisen.

Machen Sie es wie die Kinder und werden Sie erfinderisch! Es gibt viele Bewegungsarten, die fit halten. Man muss sich nicht für eine einzige Art entscheiden, denn Abwechslung bringt auch hier neue Freude. Wofür man sich auch entscheidet, wichtig ist die Regelmässigkeit. Nicht die einmalige Kraftanstrengung bringt Erfolg, sondern die kleineren Bewegungseinheiten. Es ist also besser, dreimal in der Woche zu «trainieren», als alle drei Wochen eine grosse Krafteinheit hinter sich zu bringen. Und zum Schluss benötigt man auch kein Päckchen Geduld, denn der Körper muss sich mit der neuen Situation vertraut machen. Sichtbare und spürbare Erfolge stellen sich erst nach einigen Wochen ein. Bis dahin gilt: Eifern Sie den Kindern nach und betrachten Sie Bewegung nicht als Pflicht, sondern als Freude, Spass und Abenteuer.

Und noch einmal: Kinder als Vorbilder

Lassen Sie sich ermutigen, eine Bestandsaufnahme Ihres Tagesablaufes und Lebens vorzunehmen und etwas vom «Kind» darin zu verpacken. Lassen Sie sich nicht von Erwachsenen abhalten, auch wenn Sie von ihnen belächelt werden. Pablo Picasso sagte einmal:

«Als Kind ist jeder ein Künstler. Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener einer zu bleiben.»

Wenn Sie sich selbst mit Freude bewegen, entdecken Sie das einzigartige Wunderwerk, das Gott Ihnen mit Ihrem Körper geschenkt hat, bis ins Alter geniessen können.

Tipps und Tricks

Halten Sie Ausschau nach möglichen und unmöglichen Gelegenheiten, um mehr Bewegung in Ihren Alltag zu bringen.

Hier einige Anregungen:

  • Wie wäre es mit einem kleinen Wartenstanz beim Zähneputzen oder Telefonieren? Dazu müssen Sie nur im Wechsel von den Zehenspitzen zu den Fersen wippen und zurück.

  • Oder was halten Sie vom Türrahmensport, bei dem Sie mit den Händen sich leicht oder oben gegen den Türrahmen drücken und so Ihre Arm- und Rückenmuskulatur kräftigen?

  • Und wer sagt, dass man Treppen nur vorwärts hinaufläuft kann? Probieren Sie es doch einmal rückwärts aus!

  • Sehr bekannt unter Verliebten ist das «Fusseln» unter dem Tisch. Dies kann man auch für die Allgemeinheit erweitern, indem man gegenseitig die Füsse seitwärts aneinander drückt und ein Bein anspannt, in dem Sinn: Wer ist der Stärkere?

  • Sogar im Auto, beim Warten vor der Ampel, kann man seinen Beinen Gutes tun, indem man mit den Zehen «Klavierspielt» oder mit den Füssen Kreise schreibt (aber Vorsicht – Verkehr!).

  • Und nicht zuletzt ist ein abendlicher Spaziergang am Hausberg bei Amselgesang etwas Wunderschönes.

Wer immer in Bewegung bleibt, bleibt jung – im Körper wie im Herzen.

Zurück
Zurück

Gehirnjogging oder Jogging fürs Gehirn

Weiter
Weiter

Bewegung belebt