Ernährungsbedingte Krankheiten – warum falsches Essen krank macht
Autor/in: Dr. med. Andreas Binus (Assistenzarzt für Innere Medizin)
Ausgabe: Leben und Gesundheit, Januar/2014 - Ernährung
Jeder braucht es und die meisten Menschen tun es überaus gerne: Essen!
Doch wie kann es sein, dass das, was wir essen, entscheidend dazu beiträgt, wie gesund oder krank wir sind?
Wie gesund wir sind, hängt entscheidend von unserem Lebensstil ab. Die Ernährung spielt dabei eine wesentliche Rolle. Viele Krankheiten können durch falsche Ernährungsgewohnheiten entstehen und den Körper sogar langfristig schädigen.
Wissenschaftler vermuten, dass mehr als zwei Drittel aller Krankheiten in Westeuropa und den USA durch einen ungesunden Lebensstil, insbesondere durch eine falsche Ernährungsweise, entstehen.
Damit ein Auto richtig funktioniert, braucht es neben Treibstoff auch Öl und regelmässige Wartungen, um beständig eine gute Leistung erbringen zu können. Ebenso unser Körper: Er braucht bestimmte Nährstoffe, um reibungslos arbeiten zu können.
Einige der Stoffe kann der Körper selbst herstellen, andere müssen ihm regelmässig zugeführt werden. Bestimmte Substanzen wie Vitamine, Spurenelemente, aber auch die Energielieferanten Eiweiss, Kohlenhydrate und Fette sind lebenswichtig.
Fehlen dem Körper einige dieser wichtigen Bausteine, gerät sein Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht – und Krankheiten können entstehen.
Woran fehlt es bei der Mangelernährung?
Oft denkt man beim Begriff Mangelernährung an ein «zu wenig» an Nahrung. Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich kann man an schwerer Mangelernährung leiden, obwohl man täglich weit mehr als die benötigten Kalorien zu sich nimmt, weil ein Mangel an einzelnen wichtigen Nährstoffen besteht.
Im Gegensatz zu einer solchen echten Ernährung steht heute einem Grossteil der Weltbevölkerung täglich nicht genügend Nahrung zur Verfügung, um den Energiebedarf zu decken. Ein kleinerer Teil der Menschheit leidet dagegen unter Fehlernährung, das heisst, sie nehmen zwar ausreichend Kalorien, aber zu wenig lebensnotwendige Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe auf.
Kommt es über längere Zeit zu Fehlfunktionen, entstehen spezifische Erkrankungen. Dazu gehören nicht nur Kopfschmerzen, Muskelschwäche, Sehstörungen oder Krämpfe, sondern auch gravierende Stoffwechselprobleme.
Klassische Mangelernährung
Die klassischen Mangelernährungskrankheiten wie Skorbut (Vitamin-C-Mangel), Beriberi (Vitamin-B1-Mangel) oder Rachitis (Vitamin-D- bzw. Kalzium-Mangel) kommen in unseren Breiten nur noch selten vor.
Zum Beispiel Skorbut lässt sich jedoch eindrücklich aufzeigen, wie der Ausfall eines einzigen Vitamins wirken kann.
Die meisten Menschen kennen Skorbut aus diversen Seefahrer- und Piratengeschichten, obgleich bereits der bekannte griechische Arzt Hippokrates darüber berichtet hat. Bis ins 18. Jahrhundert war der Skorbut die häufigste Todesursache auf ausgedehnten Seereisen.
Im Jahr 1747 untersuchte der englische Schiffsarzt James Lind diese Krankheit mit Hochdruck. Er nahm zwölf Seeleute, die an Skorbut litten, und teilte sie in sechs Gruppen zu je zwei Personen ein. Jede Gruppe erhielt eine andere Diät. Nur jene zwei Seeleute, die zusätzlich zu ihrer üblichen Mahlzeit täglich zwei Orangen und eine Zitrone bekamen, zeigten nach kurzer Zeit eine deutliche Besserung.
Die restlichen Gruppen, die z. B. Essig, Meerwasser, Gewürze oder Schwefelsäure erhielten, zeigten keine oder nur geringe Fortschritte.
Damit war der Zusammenhang zwischen Vitamin C und Skorbut klar bewiesen.
Zu viel des Guten?
Bei der modernen Form der Fehlernährung denkt man zumeist an die typische westliche Ernährungsweise – sie hat jedoch längst auch Einzug in andere Teile der Welt gefunden. Die Aufnahme einer grossen Menge nährstoffarmer, aber energiereicher (hochkalorischer) Nahrung, also ein Übermass an Fett- und Kohlenhydraten, bei gleichzeitiger mangelnder körperlicher Betätigung oder Muskelarbeit, speichert der Körper die überflüssige Energie in Form von Fettreserven.
Es kommt zu Fettleibigkeit. Ist der Körperhaushalt erst einmal aus dem Gleichgewicht geraten, besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für eine ganze Reihe von Erkrankungen, den sogenannten Zivilisationskrankheiten.
Im Folgenden werden beispielhaft einige wichtige aufgegriffen:
Diabetes mellitus – die Zuckerkrankheit im Alter?
Hauptmerkmal des Diabetes ist ein erhöhter Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie), der mit einem Risiko für schwere Begleit- und Folgekrankheiten verbunden ist.
Das Bauchspeicheldrüsenhormon Insulin reguliert den Blutzucker, indem es bewirkt, dass der Zucker vom Blut in die benötigenden Zellen transportiert wird.
Es fungiert als «Schlüssel», der das «Schloss» der Zelle öffnet, sodass der Zucker hineingelangt.
Während beim Typ 1 Diabetes der Körper zu wenig oder kein Insulin herstellen kann, ist beim Typ 2 Diabetes meist die ungenügende Wirkung des Insulins das Problem.
Die zugrunde liegenden Mechanismen einer ungenügenden Insulinwirkung sind komplex. Fakt ist jedoch: Mit jedem Kilo mehr auf der Waage wächst das Risiko, zuckerkrank zu werden.
Da das Gewicht der Menschen besonders in den Wohlstandsländern ständig zunimmt, wächst die Zahl der Diabetiker ungebremst weiter. Über sieben Millionen Menschen leben aktuell allein in Deutschland mit dieser Diagnose – 80 bis 90 Prozent von ihnen sind übergewichtig!
Eigentlich wäre das Volk der Moderne leicht zu heilen: Schon vier Kilo abzunehmen bei täglicher ausreichender körperlicher Bewegung senkt das Diabetes-Risiko um 50 Prozent.
Wer keine Zeit für seine Gesundheit hat, wird eines Tages Zeit für seine Krankheit haben müssen.
Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems
Unter dem Oberbegriff Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden Erkrankungen des Herzens und Erkrankungen der Blutgefässe zusammengefasst. Herz- und Kreislauferkrankungen stellen in der Altersgruppe ab 40 Jahren die häufigste Todesursache dar.
Das Spektrum der Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist breit, doch die wichtigsten Vertreter sind der Bluthochdruck und die Verkalkungen der Gefässe sowie die koronare Herz-Erkrankung, eine Verhärtung der Herz versorgenden Kranzgefässe.
Betroffen sein können darüber hinaus jedoch alle Arterien des Körpers mit entsprechend vielen möglichen Folgeschäden. Man spricht von Arteriosklerose.
Risikofaktoren für Erkrankungen des Herzens und der Blutgefässe sind auf der einen Seite nicht beeinflussbar, wie Alter, Geschlecht und genetische Vorbelastung. Auf der anderen Seite sind sie beeinflussbar – wie Stress, Rauchen, Alkohol, Übergewicht und eine ungesunde Ernährung.
Eine fettreiche Ernährung, insbesondere tierischen Ursprungs, gilt als ungesund. Eine dauerhaft falsche Ernährungsweise führt mit zunehmendem Alter häufig zu erhöhten Blutwerten (Cholesterinspiegel, Triglyzeride).
Sowohl vorbeugend als auch zur Verbesserung der Symptomatik wird eine Verminderung der Fettzufuhr, besonders der gesättigten Fettsäuren, Transfettsäuren sowie des Cholesterins in der Nahrung empfohlen. Daher sind pflanzliche Lebensmittel zu bevorzugen. Diese sind reich an Vitaminen, Mineralstoffen, sekundären Pflanzenstoffen und Ballaststoffen.
Übergewichtige mit erhöhten Blutwerten wird dringend eine Gewichtsabnahme angeraten. Abhilfe schafft hier gesunder Kost viel Bewegung.
Die Forschungsergebnisse sind beinahe überwältigend: 74 % aller Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 82 % aller koronaren Herzerkrankungen können durch eine gesunde Lebensführung vermieden werden (Stampfer; NEJM, 2000; 343:16-22).
Was wir nicht vergessen sollten: Was dem Herzen schadet, schadet meist auch dem Gehirn. Eine Fehlernährung ist auch eine Ursache von Gehirnschäden, Demenzerkrankungen und sogar psychischen Erkrankungen.
Krebsleiden
Krebs beginnt als eine einzige abnormale Zelle, die sich irgendwann unkontrolliert vermehrt.
Dieser sich rasch ausbreitende Zellverband kann sich diffus im Körper verteilen (wie beispielsweise bei einem Blutkrebs) oder rasch einen soliden Tumor bilden – ein wachsendes Zellkonglomerat, das in das noch gesunde Gewebe vordringt.
Krebserregende Stoffe aus Chemikalien, Zigarettenrauch, Umweltgiften und ungesunden Nahrungsmitteln sowie der Einfluss mancher Strahlung können die Entstehung von Tumoren beschleunigen.
Andere Stoffe aber, sogenannte „Hemmer“, können die Tumorzellen am Wachstum hindern. Einige Vitamine und sogenannte Phytochemikalien in pflanzlichen Nahrungsmitteln können als solche Hemmer agieren.
Mit gesunder Ernährung kann man also das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen senken. Manche Tumorarten wie Brust-, Gebärmutter-, Darm- und Nierenkrebs werden nach Angaben der Deutschen Krebshilfe in Bonn durch Übergewicht begünstigt.
Neuere Erkenntnisse der Ernährungsforschung zeigen, dass sich nicht nur Übergewicht, sondern eine Reihe von Stoffen in der Ernährung auf die Krebsentstehung auswirken.
Viele natürliche Nährstoffe, wie sie in frischem Obst, Gemüse und im Salat finden, haben das Potenzial, Krebszellen zu bekämpfen oder den Körper zu schützen.
Fazit
Bei der Entstehung sowie im Verlauf der meisten chronischen Erkrankungen spielt die Ernährung eine wichtige Rolle.
Übergewicht? Ein ernst zu nehmender Risikofaktor! Wer abnimmt, profitiert vielfach. Ist das Idealgewicht erreicht, gilt es, dieses durch die Beibehaltung eines ausgewogenen Lebensstils zu halten.
Beim Einkauf hilft die Vorstellung, die Lebensmittel mit einem imaginären Schild zu versehen: «gesundheitsfördernd» – «krankmachend».
Man fängt mit einem einzigen solchen Schild an. Lernt man Neues, lassen sich diese Schilder beim Schlendern durch die Gänge des Supermarktes erweitern oder abändern. Dies kann eine grosse Hilfe sein, um gute Entscheidungen bei der Nahrungswahl zu treffen und gleich praktisch umzusetzen.
Es gilt immer: so ausgewogen und zugleich einfach und natürlich wie möglich!
Eine Grundregel bei der Nahrungswahl sollte daher sein: so natürlich wie möglich.
Es klingt simpel, doch unsere heutige Gesellschaft konsumiert nur noch sehr wenig frische Lebensmittel. Fertig- und Halbfertigprodukte sind im wahrsten Sinne des Wortes «unser tägliches Brot».
„Lass Nahrung deine Medizin sein und Medizin deine Nahrung.“