Nein sagen ohne Schuldgefühle

 

Autor/in: Barbara Witzig, M.A.(Vergebungstrainerin, Seelsorgerin)

Ausgabe: Leben und Gesundheit, Mai/2013 - Prioritäten

Nein sagen ist so eine Sache. Eigentlich sollte es ganz einfach sein, Nein zu sagen. Jedes Kind im Trotzalter beherrscht diese Kunst perfekt. Und doch, wer kennt es nicht, das Ja, das rausrutscht, obwohl man doch Nein gemeint hat. Ein Freund bittet um Hilfe und ohne Zögern sagen Sie Ja. Freunde sind doch dazu da, einander zu helfen. Anschliessend sitzen Sie da und ärgern sich über sich selbst, weil Sie wieder einmal nachgegeben haben. Sie ärgern sich, weil Sie schon wieder helfen, obwohl Sie weder die Zeit, die Kraft noch die Lust dazu haben. Sie wünschen sich, Sie hätten Nein gesagt. Sie sind damit nicht allein.

Viele Menschen kämpfen heute mit steigenden Ansprüchen und der Schwierigkeit, diese abzuwehren. Ein Nein scheint jeweils von Schuldgefühlen begleitet zu sein. Die gute Nachricht ist: Nein sagen ist lernbar!

Was ist ein Nein?

Um richtig Nein sagen zu können, gilt es zu verstehen, was ein Nein überhaupt bedeutet. Ein Nein signalisiert eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Grenzen markieren einen Besitz. Sie zeigen, wo etwas aufhört und etwas anderes beginnt.

Stellen Sie sich Ihr Leben als ein Haus vor. Sie wollen nicht, dass Ihr Haus ohne Ihre Erlaubnis betreten wird, deshalb hat es Mauern. Zu Ihrem Haus gehört auch ein Garten, und doch möchten Sie nicht, dass dieser einfach überrannt wird. Deshalb stellen Sie einen Gartenzaun auf. Durch Grenzen definieren Sie sich. Die definieren, was Sie sind und was nicht. Innerhalb dieser Grenzen liegen Ihre Gedanken, Überzeugungen, Entscheidungen und Handlungen, aber auch Ihre Werte, Wünsche und Gefühle. Dadurch schützen Sie sich selbst und was Ihnen wichtig ist. Wer keine Grenzen setzt, wird überrannt. Wer immer Ja sagt, also keine Grenzen hat, gestattet sein Leben nicht selbst, sondern wird durch andere gelebt. Keine Grenzen zu setzen bedeutet, dass andere bestimmen können, was Ihnen wichtig sein kann. Grenzen zu setzen, bedeutet die Verantwortung für sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ein Nein zeigt, dass Sie die Kontrolle haben, Sie bestimmen wie Sie Ihre Zeit, Kraft und Energie einsetzen, was Platz hat und was hinten anstehen muss. Wichtig ist, dass Sie Ihre Grenzen kommunizieren, damit sie für andere sichtbar werden.

6 Schritte zu einem guten Nein

Grenzen setzen und Nein sagen lernen ist ein Prozess. Einige Schritte helfen Ihnen dabei, ohne Schuldgefühle Nein zu sagen.

1. Setzen Sie Prioritäten

Bevor Sie klare Grenzen setzen können, müssen Sie herausfinden, was Sie schützen wollen. Was ist Ihnen wichtig, wo liegen Ihre Prioritäten? Wenn Sie nicht wissen, wofür Sie eintreten wollen, wird es Ihnen schwer fallen, es zu verteidigen. Überlegen Sie sich täglich ein Ja zu dem behalten, was Sie wollen. Wenn Sie zu etwas Nein sagen, was Sie nicht wollen, sagen Sie gleichzeitig dadurch Ja zu dem, was Sie wollen.

2. Finden Sie heraus, warum es Ihnen schwer fällt, Nein zu sagen

Es gibt viele Hindernisse auf dem Weg zu einem mutigen und gesunden Nein. Wenn Sie wissen, was Sie daran hindert, können Sie damit beginnen, diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Vieles, was vom Nein ablenkt, hält uns im schlechten Selbstwert. Vielleicht haben Sie Angst davor, abgelehnt zu werden, wenn Sie Nein sagen.
Bedenken Sie, Sie können es nicht jedem recht machen. Und wenn Sie sich wirklich die Zustimmung von einer Person, die Sie nur mag, weil Sie alles tun, was diese von Ihnen erwartet?
Vielleicht haben Sie Angst vor den Konsequenzen eines Neins. Häufig sind diese Befürchtungen schlimmer als die Realität. Oder haben Sie Angst, durch ein Nein egoistisch oder herzlos zu wirken? Seien Sie beruhigt, ein wirklicher Egoist würde sich darüber nicht einmal Gedanken machen. Vielleicht hindert Sie aber auch der Wunsch, gebraucht zu werden an einem Nein. So gut es tut zu wissen, dass andere Sie brauchen, auf die Dauer überwiegt dann doch das Gefühl, ausgenutzt zu werden.

Es gibt aber auch äussere Dinge, die ein Nein behindern. Nicht jeder wird Ihr Nein gut aufnehmen. Viele werden versuchen, Sie doch zu einem Ja zu bewegen, sei es durch Druck, Schmeicheleien, Erpressung, durch das Auslösen von Schuldgefühlen oder eine Mitleidsdusche. Lassen Sie sich nicht manipulieren!

3. Nehmen Sie sich Bedenkzeit, um eine Entscheidung zu treffen

Lassen Sie sich nicht überrumpeln. Sie müssen nicht sofort Ja oder Nein sagen, auch wenn das Ihr Gegenüber will.
Nehmen Sie sich Zeit, die Situation zu analysieren. Hilfreiche Fragen dabei sind:

  • Was genau wird von mir erwartet?

  • Will ich das, was erwartet wird, tun?

  • Wie viel Zeit und Kraft steht mir selbst zur Verfügung?

  • Wer ist es, der mich um etwas bittet?

Ein Nein zeigt, dass Sie Kontrolle haben, Sie bestimmen wie Sie Ihre Zeit, Kraft und Energie einsetzen.

4. Werden Sie sich bewusst, welchen Preis Sie zahlen

Ein Ja kostet Sie etwas. Überlegen Sie sich, wie viel Zeit, Kraft und Energie es Sie kosten wird. Überlegen Sie sich konkret, was Sie aufgeben müssen, um der Bitte nachzukommen. Bedenken Sie, Ihre Zeit und Ihre Bedürfnisse sind genauso wichtig wie die anderer. Ihre Kraft ist begrenzt und Sie dürfen auch mal zuerst sorgen. Deswegen sind Sie nicht egoistisch.

5. Erlauben Sie sich Nein zu sagen

Geben Sie sich selbst die Erlaubnis, Nein zu sagen. Sie können nur für andere sorgen, wenn Sie auch für sich selbst sorgen. Wenn nötig geben Sie sich diese Erlaubnis schriftlich.

6. Lernen Sie auf sanfte Art Nein zu sagen

Wenn Sie sich entschieden haben, Nein zu sagen, kommunizieren Sie dieses Nein deutlich, aber sanft. Begründen Sie, warum Sie Nein sagen, aber rechtfertigen Sie sich nicht. Sie müssen sich für Ihr Nein nicht entschuldigen. Zeigen Sie Verständnis für die Reaktion Ihres Gegenübers.
Bedanken Sie sich für das entgegengebrachte Vertrauen. Wenn möglich, können Sie ein Teil-Nein anbieten. Wenn Sie Ihrem Beispiel nichts ausmachen, eine Aufgabe zu übernehmen, aber Sie heute nicht die Zeit dazu haben, bieten Sie Ihre Unterstützung für einen anderen Tag an. So können eben Betroffene an einer Stelle nachholen, wo anderweitig Hilfe bekommen kann.
So zeigen Sie, dass Sie sich trotz Ihrem Nein für die Person interessieren. Bleiben Sie konsequent, auch wenn jemand Ihr Nein nicht akzeptieren will.

Nein sagen lernen ist ein Prozess. Beginnen Sie mit kleinen Schritten. Üben Sie Ihr Nein in Situationen, wo Sie einigermassen sicher fühlen. Freuen Sie sich über jeden noch so kleinen Erfolg. Bleiben Sie dran und erleben Sie Konsequenzen. Durch Ihr gesundes Nein werden Sie zu einem glücklichen Ja. Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihr Leben: Sagen Sie Nein!

Ein Nein signalisiert eine Grenze, die nicht überschritten werden darf.

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Wie es gelingt, ein staunender, glücklicher Mensch zu werden

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