DURCH OPTIMISMUS erfolgreicher altern

 

Autorin: Dr. med. Karl-Heinz Müller – Facharzt für Innere Medizin (Geriatrie), Physikalische Medizin & Rehabilitation
Ausgabe: Leben & Gesundheit, Juli/August 2025 - Optimismus

Altern ist ein natürlicher Teil des Lebens – ein Prozess, der oft mit Herausforderungen, Veränderungen und manchmal auch mit Ängsten verbunden ist. Doch wie wir diesen Lebensabschnitt erleben, hängt maßgeblich von unserer inneren Haltung ab.

LEBENSFROH TROTZ GROSSEM LEID ...

Als ich den Speisesaal des Pflegeheimes betrat, fiel sie mir sofort auf – eine 86-jährige Dame, Würde ausstrahlend, freundlich lächelnd und zugewandt. Später erfuhr ich, dass sie nach dem Tod ihres Mannes jahrelang von ihrem leiblichen Bruder in ihrem eigenen Keller eingesperrt worden war. Irgendwie ist es ihr dann gelungen, sich zu befreien. Eine Tochter sei immer unterwegs, damit sie ihre Mutter nicht besuchen müsse, fügte sie ironisch hinzu. So die Worte dieser Frau.

Wie kann man im Alter noch so optimistisch gestimmt sein, fragte ich mich nach dieser Lebensgeschichte. Sie habe immer eine positive Lebenshaltung bewahrt und versucht, den Kontakt mit negativ eingestellten Menschen zu vermeiden, versicherte sie mir. Offensichtlich scheint es ihr nicht immer gelungen zu sein – und trotzdem war sie weiterhin frohgemut und zufrieden.

ERFOLGREICHES ALTERN

Als Geriater halte ich öfter Vorträge über das erfolgreiche Altern. Dabei setze ich ein erfolgreiches Altern nicht mit jung und unversehrt, gesund und uneingeschränkt gleich.

Der Begriff «erfolgreiches Altern» ist erst vor einigen Jahren geprägt worden. Mit diesem Begriff wird zum Ausdruck gebracht, dass ältere Menschen vor der Aufgabe stehen, einen Lebensabschnitt mit Verlusterleben und Abbauprozessen lebenswert zu gestalten und zu empfinden. Ist das möglich – oder ist Altern eher eine ausweglose Alternative? Perspektivlos? Sinnlos?

WELCHE BEGRIFFE PRÄGEN UNSER ÄLTERWERDEN?

Viele Menschen verbinden Altern mit negativen Begriffen wie Vergesslichkeit, Krankheit, Schmerzen, Hilfebedürftigkeit, Abhängigkeit. Zumindest könnte man diesen Eindruck gewinnen, wenn man sich die Aussagen mancher Menschen anhört oder liest:

  • «Das Alter ist ein Schiffbruch.»
    Charles de Gaulle (1890–1970)

  • «Wie mürrisch doch das Alter stets die Menschen macht und ihren Blick verdüstert!»
    Euripides (480–406 v. Chr.)

  • «Das Alter ist der Übel höchstes; denn es beraubt den Menschen aller Genüsse, lässt ihm aber das Verlangen danach, und bringt alle Leiden mit sich.»
    Giacomo Graf Leopardi (1798–1837)

  • «Altern ist die größtmögliche Zumutung. Es ist grausam. Es ist eine erbarmungslose Gemeinheit, die man da über uns schüttet.»
    Angelika Schrobsdorff (1927–2016), Schriftstellerin, im Stern-Interview

Welches Bild haben WIR vom Altern? Etwa so: Der alte Mensch trägt dunkle Kleidung, liest Zeitung, macht Handarbeiten, geht spazieren, schaut fern, reist nicht ins Ausland, verhält sich ruhig, ist entweder hilfsbedürftig durch Beeinträchtigungen oder freundlich, (alters)weise und ausgeglichen.

Wie soll man unter solchen Altersvorstellungen noch optimistisch und positiv eingestellt sein?

Aber es geht auch anders! Denken wir nur an Udo Jürgens: «Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an!» Ja, es gibt auch dem Alter gegenüber optimistische Menschen!

POSITIVE STIMMEN ZUM ALTER

  • «Wir wollen unsere Zeit der Natur gemäß durchleben und heiter beendigen, so wie die reifgewordene Olive fällt, indem sie die Erde segnet, die sie hervorgebracht, und dem Baum dankt, der sie genährt hat.»
    Marc Aurel (120–180 n. Chr.), römischer Kaiser

  • «Nicht der Mensch hat am meisten gelebt, welcher die höchsten Jahre zählt, sondern der, welcher sein Leben am meisten empfunden hat.»
    Jean-Jacques Rousseau (1712–1778)

  • «Älter werden ist wie auf einen Berg steigen: Je höher man kommt, umso mehr Kräfte sind verbraucht; aber umso weiter sieht man.»
    Ingmar Bergman (1918–2007)

  • «Alte Menschen sind wie Bücher. Die Dummen stellen sie ins Regal, die Schlauen lesen in ihnen.»
    Stephan Sarek (*1957), Schriftsteller

VON DER FORSCHUNG BESTÄTIGT

US-Forschende veröffentlichten kürzlich eine Studie im Journal of the American Geriatrics Society, die an 158.861 Frauen durchgeführt wurde, und erklärten darin, dass eine optimistische Lebenseinstellung die Lebenserwartung um bis zu 5,4 Prozent erhöhen kann. Gemessen am derzeitigen Durchschnittsalter der amerikanischen Bevölkerung von 81,2 Jahren sind das immerhin 4,4 Jahre.

Auf die Langzeitstudie von Lewina O. Lee wurde im Artikel der Psychologin Judith Leitner schon näher eingegangen. Die Ergebnisse sind durchweg ermutigend: Optimisten lebten länger und erreichten häufiger ein sehr hohes Alter.

Konkreter ausgedrückt: Die optimistischen Männer und Frauen hatten im Schnitt eine um 11–15 Prozent längere Lebensdauer als diejenigen mit den niedrigsten Optimismus-Werten. Die Wissenschaftler vermuten, dass Optimismus als psychologische Ressource dient, die die Langlebigkeit fördert.

Wie genau die positive Lebenseinstellung den Menschen beim Altwerden hilft, ist noch unklar. Ein besserer Umgang mit Stress könnte dabei eine Rolle spielen. Bei chronischem Stress werden Stresshormone ausgeschüttet, die Krankheiten und das Altern beschleunigen.

Darüber hinaus könnte eine optimistische Grundhaltung gesundheitsfördernde Verhaltensweisen unterstützen – wie Bewegung, Verzicht auf Rauchen oder Alkohol. Interessanterweise erhalten optimistische Menschen mehr soziale Unterstützung, nutzen Problemlösungs- und Planungsstrategien, mit denen sie Gesundheitsrisiken minimieren und ihre Gefühle sowie ihr Verhalten besser steuern können.

Optimismus ist
zu etwa 23 bis 32 Prozent vererbbar, trotzdem kann man Optimismus durchaus erlernen.

OPTIMISMUS – TEILWEISE ANGEBOREN, ABER AUCH LERNBAR

Optimismus ist zu etwa 23 bis 32 Prozent vererbbar, trotzdem kann man Optimismus erlernen. Alte Menschen brauchen Klarheit darüber, wie ihr zukünftiger Lebensweg aussieht, um eine Neuorientierung wagen zu können. Dabei brauchen sie mehr als Wohlstand und gesellschaftliche Anerkennung.

Doch eine Akzeptanz des stetig fortschreitenden Alterungsprozesses und einer damit verbundenen Sinngebung des Alters ist in einer schnelllebigen, von Jugendwahn geprägten und nutzenorientierten Zeit schwierig geworden (Stöhr 2007, S. 203f).

Zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die man nicht verändern kann, und sich auf die Dinge zu fokussieren, über die man Kontrolle hat, nennt die Psychologie «realistischen Optimismus» – und dazu gehört natürlich auch das Altern.

Anders als der naive oder blinde Optimismus basiert er auf einem positiven Bild von der Zukunft, während gleichzeitig Schritte unternommen werden, damit diese Zukunft Wirklichkeit werden kann.

EMPFEHLUNGEN FÜR EIN ERFOLGREICHES ALTERN

  • Leben Sie gesundheitsbewusst: Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung. Meiden Sie Nikotin und Alkohol. Streben Sie einen seelisch und körperlich ausgeglichenen Lebensstil an.

  • Seien Sie aktiv und übernehmen Sie Eigenverantwortung: Suchen Sie rechtzeitig Aufgaben und Ziele für Ihren Lebensabend. Gestalten Sie Ihre Zeit bewusst. Scheuen Sie sich nicht, Neues zu lernen oder Kontakte zu knüpfen.

  • Sehen Sie das Alter als Chance: Es ist nie zu spät, den Lebensstil zu ändern oder zu neuen Ansichten zu gelangen. Seien Sie offen für die schönen Dinge des Lebens.

  • Kümmern Sie sich um Ihre Gesundheit: Betrachten Sie Krankheiten nicht als unabwendbares Schicksal, sondern ergreifen Sie Initiative. Nehmen Sie Vorsorgeuntersuchungen wahr und lassen Sie Impfungen auffrischen.

  • Pflegen Sie Kontakte: Der Austausch mit Familie, Freunden und Bekannten ist besonders wichtig. Auch Zärtlichkeit, Nähe und Sexualität tragen zu einem erfüllten Leben bei.

  • Erhalten Sie Ihre Selbstständigkeit: Erkennen Sie Ihre Stärken und nutzen Sie diese. Bitten Sie um Hilfe, wenn nötig – aber bestimmen Sie klar, wobei und in welchem Umfang.

  • Seien Sie sportlich aktiv: Trainieren Sie Herz-Kreislauf, Muskulatur und Skelettsystem. Bewegung sollte vor allem Freude bereiten. Gemeinsamer Sport in einer Gruppe steigert zusätzlich die Motivation.

  • Vergessen Sie nicht die Spiritualität: Sie schenkt Zufriedenheit und bietet eine Perspektive über das jetzige Leben hinaus.

Zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die man nicht verändern kann, und sich auf die Dinge zu fokussieren, über die man Kontrolle hat, nennt die Psychologie realistischen Optimismus – und dazu gehört natürlich auch das Altern.

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GESUNDE PSYCHE – trotz verrückter Welt

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Morgen bin ich sicher ein Vorbild – ICH VERSPRECHE ES!