GESUNDE PSYCHE – trotz verrückter Welt
Autorin: Torben Bergland, MD – Psychiater und Psychotherapeut
Ausgabe: Leben & Gesundheit, Mai/Juni 2025 - Prioritäten
Wo liegen meine Prioritäten, um mich in einer immer verrückter werdenden Welt auch vor psychischen Krankheiten zu schützen?
Vielleicht haben Sie schon einmal den Satz gehört: «Was dich nicht umbringt, macht dich stärker». Klingt wohl gut, ist aber nicht immer wahr. Wenn man etwas überlebt, kann man gestärkt daraus hervorgehen oder aber gebrochen werden, angeschlagen und kaum am Leben bleibend versuchen, weiterzumachen. Alles, was wir wirklich sagen können, ist: «Was dich nicht umbringt, bringt dich nicht um».
Wenn uns etwas Schlimmes zustößt, werden wir vielleicht verletzt, gekränkt oder geschädigt und wir leiden eventuell lange Zeit darunter, manchmal sogar für den Rest unseres Lebens. Diese kaputte Welt macht uns kaputt – manchmal teilweise, manchmal ganz.
WIE STEHT ES UM UNSERE PSYCHE?
Während unser Verständnis und unsere Akzeptanz von körperlichen Krankheiten und Leiden inzwischen recht weit fortgeschritten sind, ist dies bei psychischen Erkrankungen nicht ganz der Fall. Obwohl sie weitverbreitet sind, sind psychische Erkrankungen immer noch mit Stigmata und falschen Vorstellungen behaftet. Nach vorsichtigen Schätzungen leidet weltweit jedes Jahr mindestens einer von zehn Menschen an einer psychischen Störung, die seine Lebensqualität erheblich beeinträchtigt und daher behandelt werden muss. Im Laufe des Lebens wird mindestens einer von vier Menschen an einer psychischen Störung leiden und eine Behandlung benötigen.
Die «Global Burden of Disease Study 2016» hat gezeigt, dass psychische Störungen, vor allem Depressionen und Angstzustände, weltweit die häufigsten Ursachen für Behinderungen sind.
Depressionen und Angstzustände sind weltweit die häufigsten Ursachen für psychische Störungen.
WIE KÖNNEN WIR HELFEN?
Als Psychiater fragen wir uns zu Recht: Wie können wir unseren Patienten helfen? Psychische Störungen sind weiter verbreitet, als wir denken. Auch wenn uns vielleicht das Wer, Was und Warum nicht klar oder bewusst ist, kennt doch jeder von uns jemanden, der psychisch leidet. Die meisten von uns werden irgendwann in ihrem Leben den Schmerz erfahren, der entsteht, wenn unsere psychischen Abwehrsysteme nicht ausreichen, um die Herausforderungen zu bewältigen, die scheinbar so plötzlich über uns kommen.
Leider sind Menschen, die unter psychischen Problemen leiden, oft doppelt belastet, wenn ihnen nicht mit Verständnis, Mitgefühl und Unterstützung begegnet wird. Sagen Sie niemals zu jemandem mit einer psychischen Erkrankung: «Reiß dich zusammen» oder etwas Ähnliches. Das würden Sie auch nie zu jemandem sagen, der Krebs oder Multiple Sklerose hat, oder?
WIE GEHEN WIR DAMIT UM?
Eine psychische Krankheit ist nicht etwas, das man einfach so, wie eine Erkältung, überwindet. Wir müssen versuchen, zu verstehen und zu respektieren, dass es immer bedeutende Gründe gibt, warum jemand eine psychische Krankheit entwickelt. Viele Menschen um uns herum haben eine schmerzhafte Geschichte und kämpfen einen Kampf, von dem Sie nichts wissen. Wir halten Gesundheit oft für selbstverständlich, aber das ist ein Fehler. Unser Leben in dieser Welt wird immer anspruchsvoller. Alles muss immer schneller und schneller gehen. Zeit für Ruhe und Stille bleibt kaum – und wenn, können wir damit kaum mehr umgehen. Krankheiten und Funktionsstörungen sind daher zu erwarten. Früher oder später wird uns leider allen etwas zustoßen.
Psychische Erkrankungen sollten nicht mit geistlichen Problemen gleichgesetzt werden. Seelische Gesundheit und geistige Gesundheit sind nicht ein und dasselbe. So wie der Körper krank werden kann, auch wenn der Mensch geistig aufrichtig und vielleicht gar gläubig ist, so kann auch der Geist krank werden. Der Geist ist schließlich eine körperliche Funktion und unterliegt daher auch menschlichen Gebrechen und Nöten.
Sicherlich kann eine gute geistige Gesundheit den Geist stärken, wie es auch eine körperliche und soziale Gesundheit tun kann. Aber hüten wir uns davor, Leidende zusätzlich zu belasten, indem wir ihnen Ratschläge geben wie zum Beispiel: «Du musst nur mehr schlafen» oder «Bete mehr» oder «Iss gesünder» et cetera. Wir sollten einem Menschen, der an Geist und Seele leidet, so gut wie möglich helfen, seine Lasten, die er trägt, mitzutragen. Mit ihm weinen und ihn so annehmen, wie er ist. Wir sollten andere – vor allem jene, die nicht zurechtkommen – mit der gleichen Freundlichkeit behandeln und annehmen, wie wir selbst behandelt werden möchten. Und wir sollten auch uns selbst mit der Freundlichkeit behandeln, mit der wir andere behandeln würden.
Vom Tag unserer Zeugung bis zu unserem Tod sind wir ständig Bedrohungen ausgesetzt: Keime, Toxine, gestörte Gene, Unterernährung, Gewalt, Unfälle – die Liste ist endlos. Unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden hängen von unserer Fähigkeit ab, diesen Bedrohungen zu widerstehen und standzuhalten. Ohne gut entwickelte und ausgeklügelte Abwehrsysteme wird unsere körperliche, seelische und geistige Gesundheit bald der Realität dieser verrückten Welt erliegen. Wir sind immer dann gefährdet, wenn sich diese Abwehrsysteme als unzureichend oder überfordert erweisen.
PRIORITÄT: MENTALE WIDERSTANDSKRAFT
Unsere Welt ist das geworden, zu was wir sie gemacht haben. Um bei Verstand zu bleiben, um unsere geistige und seelische Gesundheit möglichst gut zu bewahren, müssen wir unsere psychische Widerstandsfähigkeit kultivieren. Mentale Resilienz (Widerstandskraft) ist die Fähigkeit und das Vermögen, in Zeiten von Stress und Widrigkeiten zu widerstehen und sich angemessen anzupassen. Unabhängig davon, ob wir bereits an einer psychischen Krankheit leiden oder versuchen, uns davor zu schützen, indem wir gesund und ganzheitlich leben, können wir unsere Widerstandsfähigkeit erhöhen und psychisch profitieren.
SO KULTIVIEREN SIE MENTALE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT:
Schlafen Sie jede Nacht 7 bis 8 Stunden.
Treiben Sie an fünf Tagen in der Woche mindestens 30 Minuten Sport.
Essen Sie nahrhaftes und gesundes Essen.
Ruhen Sie sich täglich und wöchentlich aus – nehmen Sie sich Zeit für Erholung, Ruhe und Besinnung.
Setzen Sie angemessene Grenzen und seien Sie maßvoll.
Erkennen Sie sich selbst – schreiben Sie Ihre Lebensgeschichte auf und sprechen Sie mit jemandem, dem Sie vertrauen, darüber.
Gehen Sie richtig mit Ihren Gedanken und Gefühlen um – laufen Sie nicht vor sich selbst weg oder verleugnen sich.
Nehmen Sie Ihr Leben selbst in die Hand – leben Sie nach Ihren Werten.
Verbinden Sie sich mit anderen – pflegen Sie enge, liebevolle und unterstützende Beziehungen innerhalb und außerhalb der Familie.
Üben Sie Mitgefühl, Vergebung, Freundlichkeit und Dankbarkeit gegenüber anderen und sich selbst.
Leben Sie für etwas und jemanden.
„Psychische Erkrankungen sollten nicht mit geistlichen Problemen gleichgesetzt werden. Seelische Gesundheit und geistige Gesundheit sind nicht ein und dasselbe.“