Wie integer ist deine PARTNERSCHAFT?
Autoren: RAINER WANITSCHEK (Ehe- und Familienberater, Seelsorger),
ELVIRA WANITSCHEK (Dipl. Biologin und Ehe- und Familienberaterin)
Ausgabe: Liebe & Gesundheit, September/Oktober 2023 - Integrität
«Das ist unsere letzte Chance! Wenn sich jetzt nichts ändert, ändert sich alles! Dann werden wir uns trennen!» In den Gesichtern von Kent und Maja (Namen geändert) waren Verärgerung, Frust und Enttäuschung deutlich zu lesen.
Wir trafen das junge Ehepaar bei einem unserer Paarseminarabende, die meine Frau und ich seit einigen Jahren regelmäßig angeboten haben. «Dabei hat alles so gut angefangen … Wir waren ein Herz und eine Seele. Doch irgendwie ist bei uns der Wurm drin. Wir sind nur noch am Diskutieren, Argumentieren und Streiten … wobei wir uns zurzeit lieber anschweigen. Ich komme manchmal lieber spät nach Hause. Wenn sie dann schläft, muss ich mich wenigstens nicht ständig erklären oder rechtfertigen. Immer öfter bekomme ich von ihr auf die Nase gebunden, was sie alles für uns tut und ich nicht. Dabei mache ich doch auch alles für uns und unsere Kinder …» In solchen Fällen kann es passieren, dass die Integrität, also die Ehrlichkeit und 100-prozentige Hingabe, auf der Strecke bleibt.
Die meisten Paare (wenn nicht alle) haben Meinungsverschiedenheiten. Das ist normal. Es kommt zu Konflikten aus unterschiedlichsten Gründen. Zudem sind wir alle verschieden und es bedarf Zeit – ein Leben lang –, um sich kennen, schätzen und lieben zu lernen. Wichtig dabei ist, dass wir uns bewusst sind, dass Konflikte auch Chancen sind. Sie lassen uns in der Partnerschaft wachsen und einander näherkommen. Mitunter können sie uns helfen, die Gefühle, Bedürfnisse, Hoffnungen und Verletzungen des anderen besser zu verstehen. Durch Konflikte lernen wir, unsere Differenzen auf liebevolle und respektvolle Weise zu kommunizieren und zu lösen. Leider leben wir zunehmend in einer Gesellschaft, die nicht mehr an die Wunder und Schönheit einer lebenslangen Beziehung glaubt und schon nach dem Aufkommen erster Probleme aufgibt und den Partner wechselt. Dabei bedenken wir aber meist nicht, dass in einer neuen Beziehung ebenso Konflikte aufkommen. Wie auch immer wir uns entscheiden: In jedem Fall sollte die Integrität und damit die Ehrerbietung um jeden Preis gewahrt werden.
MANGELNDE KOMMUNIKATION
Kommunikation ist für das gute Gelingen einer Partnerschaft und Ehe von entscheidender Bedeutung. Wenn man nicht in der Lage ist, effektiv zu kommunizieren, führt dies rasch zu Unmut und Frustration, was sich auf alle Aspekte der Beziehung negativ auswirkt.
Eine gute Kommunikation ist die Grundlage für ein starkes Miteinander. Wenn zwei Menschen ein gemeinsames Leben führen, müssen sie lernen, sich konstruktiv mitzuteilen. Dazu gehört auch, dass sie über ihre Bedürfnisse sprechen können und in der Lage sind, die Bedürfnisse ihres Partners zu verstehen und zu erfüllen.
Den Lebenspartner anzuschreien, jedoch den ganzen Tag über keine Zeit zu haben, um ein vernünftiges Gespräch zu führen und aufeinander zu hören, führt natürlich nicht zum Ziel. Wer überfordert ist, neigt dazu, keine Zeit für ein Gespräch zu haben, sondern nur mit bösen Bemerkungen den Partner abzuwimmeln und klein zu machen. Das sind alles ungesunde Kommunikationsmethoden, die Beziehungen zerstören. Wenn Paare nicht mehr miteinander reden, werden sie sich isoliert und einsam fühlen und aufhören, sich füreinander zu interessieren. Dann öffnen sie sich leicht jemandem, der ihr Bedürfnis nach Wahrnehmung, Wertschätzung und Nähe stillt. Und schon sind Integrität und festes Vertrauensfundament dahin.
Eine der ersten Eheberaterinnen und Autorinnen, die in den 1980er Jahren auf die Bedeutung einer guten Kommunikation in der Partnerschaft hinwies, war Nancy van Pelt (siehe Buch «Von Herz zu Herz – Erfolgreich kommunizieren»). Darin sagt sie auf Seite 12 und 13: «Fehlende und ungenügende Kommunikation ist der Hauptgrund für Eheprobleme und der Zusammenbruch der Kommunikation ist Ursache Nr. 1 für Ehescheidungen.»
«Sprachlosigkeit durch mangelnde Kommunikation steht an oberster Stelle von Partnerschaftsproblemen.» Dies hat eine Untersuchung durch den ORF 2012 ergeben und festgehalten.
Sich in achtsamer Kommunikation zu üben, ist anfangs eine echte Herausforderung. Gute Kommunikationsmuster werden sich aber durch Übung nach und nach verbessern. Es lohnt sich, sie zu erlernen. Gönnen Sie sich eine Fortbildung und besuchen Sie beispielsweise ein Paar-Seminar. Es lohnt sich (z. B. Prepare&Enrich/deutsch)! Trauen Sie sich und wagen Sie es gemeinsam. Ihr Gegenüber wird es Ihnen mit einer liebevolleren Beziehung danken.
WIE ICH ZUHÖREN LERNTE
Während meines weiteren Studiums der Ehe- und Familienberatung in den 1990er Jahren wurde uns von unserer Professorin die Aufgabe mitgegeben, dass wir jedes Mal, wenn unser Partner uns etwas mitteilt, mit dem Satz antworten sollten: «Hab ich dich richtig verstanden …?» Also zum Beispiel: «Hab ich dich richtig verstanden, dass dir das und das … ein wichtiges Anliegen ist?» Die Aufgabe war, zuerst nur zuzuhören und wiederzugeben, was ich gehört hatte. Und zwar ohne es gleich zu werten!
Anfangs war meine Frau total begeistert von meiner Aufmerksamkeit (mir fiel es gar nicht so leicht). Sie fühlte sich gehört, verstanden oder konnte ihr Anliegen durch mein interessiertes Nachfragen noch einmal neu formulieren. Nach einigen Wochen allerdings meinte sie, dass sie es manchmal gar nicht mehr hören könne. Jeder zweite Satz laute: «Hab ich dich richtig verstanden …?» Doch während sie mir dies offenbarte, schmunzelte sie – was mich ermutigte, dranzubleiben. Dieses Schmunzeln machte mir deutlich, dass sie es sehr schätzte, dass unsere Kommunikation sich so sehr verbessert hatte.
Rückblickend sind wir unglaublich dankbar und froh, dass wir Hilfe in Anspruch genommen haben. Es hat uns sehr geholfen zu verstehen und verstanden zu werden. Es war für uns ein erster Schritt, gute und achtsame Kommunikation zu erlernen und uns weiteren Schritten zuzuwenden. Unser Leben nahm eine sehr positive Kehrtwende und unsere Partnerschaft wurde neu gestärkt.
Wir sind reich an Verbindungen (Social Media), aber arm an Beziehungen (von Mensch zu Mensch).
EINE WICHTIGE ERGÄNZUNG
Kennen Sie das «Still Face Experiment»? Dr. Sue Johnson ist Paartherapeutin an der Ottawa Universität (Kanada) und Leiterin des «Ottawa Couple and Family Institutes». Sie hat viele Jahre dem Studium streitender Paare gewidmet und Tausende Gespräche mit Paaren geführt. Schließlich fand sie einige wiederkehrende Muster im Verhalten und in der Sprache von Paaren, die Probleme hatten. Aus diesen entwickelte sie Lösungen, mit denen vielen Paaren auf der ganzen Welt geholfen werden konnte.
Unter anderem hat Dr. Johnson festgestellt, dass ein oder beide Partner, wenn er oder sie sich unsicher fühlen, eher in Panik geraten und eine relativ einfache Diskussion zu einem katastrophalen Konflikt eskaliert. Suchen Sie auf YouTube nach dem Video «Still Face Experiment» und sehen Sie, was passiert, wenn ein Baby eine ähnliche Art von Bindungspanik erlebt.
Diese Muster können in dem ausgezeichneten Buch «Created for Connection» (deutsch: «Halt mich fest» und «Bindungstheorie in der Praxis»), das Dr. Johnson zusammen mit Kenneth Sanderfer geschrieben hat, noch ausführlicher studiert werden. Grundlagen für das Experiment waren die Forschungen von John Bowlby, der bereits Mitte des letzten Jahrhunderts die sogenannte «Bindungstheorie» entdeckte: Je intensiver ein Baby in der Kindheit die liebevolle Nähe der Mutter erlebte und diese auf seine Bedürfnisse einging, desto sicherer fühlte sich das Kind wahrgenommen und desto weniger musste es sich zum Beispiel durch Schreien et cetera «verständlich» machen oder Angst haben, wenn die Mutter für einen Moment nicht sichtbar war.
Im 21. Jahrhundert ist es nun weithin anerkannt, dass Kinder (besonders im Kleinkindalter) ein absolutes Bedürfnis nach sicherer körperlicher und emotionaler Nähe haben, um sich gesund und sozial entwickeln zu können und dass wir, wenn wir diesen Fakt ignorieren, einen hohen Preis bezahlen werden.
Was nun Bowlby über die Beziehung von Mutter und Kind herausgefunden hat, wurde wenige Jahre nach seinem Tod (1990) von Phil Shaver und Cindy Hazan von der Universität Denver durch Studien auch für die Paarbeziehung «entdeckt». Nämlich: «Die Paare sprachen davon, dass sie emotionale Nähe von ihrem Geliebten brauchen, dass sie die Gewissheit haben wollen, dass ihr Geliebter reagiert, wenn sie verärgert sind, wenn sie verzweifelt sind, wenn sie sich von ihrem Geliebten getrennt und distanziert fühlen, und dass sie sich sicherer fühlen, … wenn sie wissen, dass ihr Geliebter hinter ihnen steht. Das drückte sich besonders dann auch in einem anderen Umgang (verbal, etc.) mit ihrem Partner aus. Wenn die (Ehe-)Partner sich beim geliebten Partner sicher fühlten, konnten sie leicht aufeinander zugehen und eine Verbindung herstellen; fühlten sie sich unsicher, wurden sie entweder ängstlich, wütend und kontrollierend, oder sie vermieden den Kontakt ganz und blieben auf Distanz.»
DIE WIRKLICH GROSSEN FRAGEN
Dr. Johnson stellte weiter fest, dass sich hinter den Panikmustern der Paare mehrere tiefe und grundlegende Fragen in Bezug auf Beziehung verbergen wie:
• Liebst du mich wirklich und sorgst du dich um mich?
• Kannst du dich in meine Gefühle einfühlen, kannst du sie nachvollziehen?
• Interessierst du dich für meine Schwierigkeiten und Probleme? Und bist du bereit, mir zu helfen?
• Kann ich mich auf dich verlassen? Wirst du immer für mich da sein?
ANTWORTEN
Meine Frau und ich können von ganzem Herzen die praktischen Hinweise meiner Kollegin Karen Holford (eine christliche Familientherapeutin in England) unterstreichen, wenn sie sagt: «Üben Sie miteinander – wir tun das auch – und haben Sie zudem den Mut, zu vergeben, denn wir alle machen Fehler und haben Versagen erlebt.» Auch wenn die Integrität, also die absolute Aufrichtigkeit, zu Schaden gekommen ist, vielleicht sogar durch Betrug, haben Sie immer noch die Möglichkeit, an dieser Beziehung festzuhalten und zu vergeben. Die Fehler oder die Probleme, welche schlussendlich eine Trennung heraufbeschwören, liegen ja doch meist auf beiden Seiten. Wenn beide auch nur einen Funken Willen besitzen, am Partner festzuhalten, sollte man auf alle Fälle daran arbeiten, zu vergeben und sich in seinem Verhalten möglichst anzupassen. Eben dadurch wächst eine Beziehung und man kommt sich näher, denn wenn sich ein Paar näherkommt und sich sicher fühlt, kommt es viel seltener zu Streitigkeiten. Und wie oben bereits erwähnt, gehören Konflikte zu jeder Beziehung dazu.
Zum Schluss noch einige weitere gute Tipps zum besseren Gelingen:
• Seien Sie jeden Tag freundlich zueinander. Dies ist eine der wirksamsten Methoden, um eine Beziehung zu pflegen.
• Zeigen oder erklären Sie Ihre Liebe auf unterschiedliche und kreative Weise mindestens einmal am Tag.
• Seien Sie mindestens einmal am Tag besonders dankbar und wertschätzend dem Partner gegenüber.
• Fragen Sie sich gegenseitig nach den Höhen und Tiefen des Tages. Feiern Sie die guten Momente und tragen Sie sich bei den Tiefpunkten: «Es tut mir so leid, dass du das durchmachen musstest. Es muss so traurig/schwierig/frustrierend/einsam gewesen sein, usw.»
• Es ist erstaunlich, wie oft das Gefühl, allein und ohne Unterstützung zu sein, viele Konflikte zwischen Paaren anheizt. Bieten Sie sich gegenseitig Hilfe an, und tun sie das für mindestens fünf Minuten am Tag.
• Bestätigen Sie Ihrer Frau oder Ihrem Mann regelmäßig Ihre Zugehörigkeit und Liebe.
„Konflikte lassen uns in der Partnerschaft wachsen und einander näherkommen.“