Trotzdem JA ZUM LEBEN
Autor/in: Pamina und Benjamin Zihlmann
Ausgabe: Leben & Gesundheit, Juli/August 2023 - Optmimismus
Kaum verheiratet, holt das junge Ehepaar eine schwere Krankheit ein, die das Leben fortan auf den Kopf stellen sollte. «Leben & Gesundheit» im Interview mit Pamina und Benjamin Zihlmann.
Pamina und Benjamin: Darf ich fragen, wie alt und wie lange ihr verheiratet seid?
Pamina: Ich bin 27 Jahre alt und mein Mann 32. Wir sind nun schon seit 3 Jahren glücklich verheiratet.
Wie kommt es, dass Pamina nunmehr seit 2 Jahren kaum euer Zuhause verlassen kann?
Pamina: Die Geschichte beginnt eigentlich schon viel früher. Ich hatte vor 10 Jahren eine Gehirnhautentzündung, die mein Leben komplett veränderte. In der akuten Zeit der Gehirnhautentzündung bin ich ein halbes Jahr fast ausschließlich gelegen. Anschließend verbesserte sich mein Zustand über mehrere Jahre hinweg, sodass ich ein Theologiestudium abschließen konnte und im Winter 2019 zu arbeiten begann. Trotzdem war seither mein Energiehaushalt immer knapp bemessen. Vor zwei Jahren erlitt ich einen abrupten Rückfall. Die Gründe hierfür sind unklar. Ich wache seither jeden Morgen völlig erschöpft auf und habe kaum Energie, um irgendwelche Aktivitäten durchzuführen. Ans Arbeiten ist nicht zu denken.
Wie sieht dein Tagesablauf aus?
Pamina: Die größte Zeit des Tages verbringe ich im Liegen oder halb aufrecht sitzend. Hier bietet sich vor allem Handarbeit an. Geistige Anstrengung ist sehr ermüdend. Auch dieses Interview verlangt mir schon alles ab. Kurze Aktivitäten sind möglich, dazu zählt an guten Tagen Kochen, eine kurze Einkaufstour oder ein Spaziergang (ca. 200 bis 300 Meter) mit meinem Mann. Durch den Tag vermeide ich das Liegen im Bett. Ich bevorzuge hierfür die Couch oder meinen Sitzsack. Dies gibt mir das Gefühl, mehr am Leben beteiligt zu sein. Deswegen stehe ich am Morgen auch zeitig auf und lege damit das Fundament für einen geregelten Tagesablauf. Zudem liege ich, wenn immer möglich, draußen im Garten. Die Natur wirkt sehr wohltuend und belebend!
Um welche Krankheit handelt es sich und was kann man dagegen unternehmen? Gibt es Heilungschancen?
Benjamin: Die Krankheit (eigentlich ein Syndrom), die bei Pamina festgestellt wurde, heißt ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom). Es handelt sich dabei hauptsächlich um eine andauernde intensive Erschöpfung. Jedoch kommen oft noch weitere Symptome dazu, wie zum Beispiel Lärm- oder Lichtempfindlichkeit, Schlafstörungen, Gedächtnisprobleme, Nervenschmerzen und vieles mehr. Seit der Corona-Pandemie wird sie auch stark mit Long-Covid in Verbindung gebracht, da dort die Symptome sehr ähnlich sind. Man weiß jedoch noch sehr wenig über diese Krankheit. Deswegen sind auch die Therapieversuche selten oder nur gering erfolgreich. Wichtig ist zu lernen, mit dem neuen Energielevel vernünftig zu haushalten. Vor allem das Vermeiden eines Zusammenbruchs ist zentral. Dieser kommt nach einer Überanstrengung und führt dazu, dass es Pamina danach noch schlechter geht.
Wie steht es mit Unterstützung? Versicherung? Ärzteschaft etc.?
Benjamin: Früher wurde ME/CFS oft in die psychische Ecke abgeschoben. Heute sind sich immer mehr Ärzte bewusst, dass dies der falsche Weg ist. Gerade durch die Corona-Pandemie ist in der Gesellschaft und in der Medizin ein Bewusstsein für diese Krankheit entstanden, wofür wir sehr dankbar sind. Die ME/CFS-Patienten leiden schon stark durch ihre persönliche Situation. Deswegen ist es zentral, dass ihre Krankheit ernst genommen wird. Leider ist es nicht nur unsere Erfahrung, dass man sich dennoch allein gelassen fühlt und von ärztlicher Seite kaum Unterstützung findet und leider auch wenig bis keine praktischen Tipps für den Umgang mit der Krankheit im Alltag erhält. In vielen Fällen erhalten ME/CFS-Patienten auch keine Unterstützung durch die Invalidenversicherung, was die Situation nicht leichter macht.
Pamina: Eine große Unterstützung sind unsere Familie und Freunde, insbesondere mein Mann und meine Mama. Ohne Benjamin könnte ich meinen Alltag nicht allein bewältigen. Er bringt viel Freude in mein Leben und ist für mich da, wenn es mir schlecht geht. Er findet auch immer wieder kreative Wege, mich an Aktivitäten teilhaben zu lassen, an denen ich sonst nicht teilnehmen könnte. So hat er mich zum Beispiel vergangenen Winter zu einem kurzen Schneeausflug mitgenommen und zog mich auf dem Schlitten hinter sich her. Erst so wurde dieses Schneeerlebnis möglich. Meine Mama besucht mich regelmäßig, unterstützt uns zu Hause und gibt mir immer wieder kreative Ideen für die Handarbeit. Das hilft mir viel, meinen Alltag sinnfüllend zu gestalten. Wir wissen auch, dass viele Menschen an uns denken oder für uns beten. Wir fühlen uns sehr von Gott getragen.
«Zudem liege ich, wenn immer möglich, draußen im Garten. Die Natur wirkt sehr wohltuend und belebend!»
PAMINA ZIHLMANN
Wie sehr bist du, Benjamin, gefordert?
Benjamin:
Ich genieße jeden Moment zusammen mit meiner Frau. Ich versuche Freude, Dankbarkeit und Zuversicht auszustrahlen. Mir ist wichtig, dass meine Frau jederzeit weiß, dass ich sie liebe. Die Herausforderungen, die mir begegnen, sind ein Mehraufwand im Haushalt, hier liegt vieles an mir, das sonst unerledigt bleibt. Dazu kommen administrative Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Krankheit stehen und mit denen ich meine Frau so wenig wie möglich belasten will. Auch fahre ich meine Frau meistens zu ihren Arztbesuchen, da sie den Weg allein nicht bewältigen könnte. Aufgrund meiner flexiblen Arbeitszeiten ist dies glücklicherweise gut möglich.
Seid ihr Optimisten? Kann man in solch einer Situation noch optimistisch sein? Oder wie findet man in einer solchen Situation zu einer optimistischen Haltung?
Pamina: Wir lieben uns fest und erleben sehr viele glückliche Momente. Zudem wohnen wir in einem kleinen Haus mit Garten, wofür wir sehr dankbar sind. Schon allein diese zwei Punkte sind so wertvoll und schenken uns Lebensfreude. Das macht uns dankbar, weil wir wissen, dass dies nicht selbstverständlich ist. Die Dankbarkeit hilft uns, auch die nicht so einfachen Dinge im Leben trotzdem hinzunehmen, trotzdem JA zum Leben zu sagen.
Ihr scheint einen guten Weg gefunden zu haben, mit dieser Situation umzugehen …
Pamina: Es gibt manchmal schon Momente, in denen mir alles zu viel wird. Ich denke, das ist auch normal und man darf das auch zulassen. Schließlich hat sich unser Leben stark verändert und ich bin in meinen Tätigkeiten und meinem Alltag unfreiwillig extrem eingeschränkt worden. Da ist es auch in Ordnung, über diesen Verlust zu trauern. Trotzdem ist es mir sehr wichtig, nicht in Selbstmitleid abzudriften. Mein Mann ist mir gerade in diesen schwierigen Situationen auch eine sehr große Stütze. Er trägt die ganze Situation mit und gibt mir auch nie das Gefühl, eine Bürde zu sein.
Gibt es praktische Tipps, die euer Leben (euren Tagesablauf) vereinfachen?
Benjamin: Uns war es wichtig, für die Situationen, die Pamina herausfordern, eine optimale Lösung zu finden. Wir haben im ganzen Haus Hocker hingestellt, damit sie sich jederzeit (z. B. im Bad oder in der Küche) hinsetzen kann. Zudem hilft es ihr, wenn ich sie darauf aufmerksam mache, wenn sie sich zu viel zumutet und dadurch die Gefahr besteht, dass sie sich übernimmt. Sie selbst spürt dies leider meist erst verzögert und dann ist es oftmals zu spät, sodass sich ein Zusammenbruch anbahnt. Aufgrund ihrer Lärmempfindlichkeit haben wir uns Noise-Cancelling-Kopfhörer angeschafft, die ihr eine große Hilfe sind. Ein weiteres Utensil, das uns seither immer begleitet ist ihr Klappvelo. Jedes Mal, wenn wir mit dem Auto wegfahren, ist es dabei, da es ihr viel leichter fällt, eine Strecke auf dem Fahrrad als zu Fuß zurückzulegen.
Was würdet ihr Menschen in ähnlichen Situationen raten/empfehlen?
Pamina: Mir hat es viel geholfen, die Situation anzunehmen. Das heißt nicht, dass ich nichts mehr unternehme, um wieder gesund zu werden. Aber gerade bei meiner Krankheit hilft es nichts, sich ständig dagegen aufzulehnen, dass man sehr wenig Energie hat. Dadurch wird es nur noch schlimmer. Zudem möchte ich vor allem das wahrnehmen und auch aktiv suchen, was ich noch machen kann. Darauf setze ich meinen Fokus. Mir hat es geholfen, den jetzigen Zustand als neues «Normal» zu definieren. Sich immer mit dem «Vorher» zu vergleichen, macht nur unglücklich. Selbst Fortschritte gleichen in dieser Perspektive Rückschritten. Ich möchte nicht erst dann dankbar oder glücklich sein, wenn alles wieder in Ordnung ist. Es lohnt sich, auch die kleinen Erfolge zu feiern.
„Die Dankbarkeit hilft uns, auch die nicht so einfachen Dinge im Leben trotzdem hinzunehmen, trotzdem JA zum Leben zu sagen.“