Warum wir Schlaf brauchen
Autor/in: Robbie Pfandl (Psychologe)
Ausgabe: Leben & Gesundheit, Januar/2019 - Ruhe
Schlaf als dritte Säule der Prävention
Dichter, Musiker und Denker wie Cicero, Mark Twain, Winston Churchill, Albert Einstein und John Lennon hatten alle etwas gemein. Sie waren überzeugte Verfechter von Zeiten der Ruhe und liebten den Schlaf. Sie werden von den Neurowissenschaften und jüngst von der Somnologie bestätigt: Ruhepausen, Entspannung, Schlaf und Momente der Besinnung sind keine verlorene Zeit. Sie fördern Wohlbefinden, Kreativität und Leistungskraft. Ohne Zeiten der Erholung geht nichts, weder geistig noch körperlich. Ausreichender Schlaf ist neben einer ausgewogenen Ernährung und regelmäßiger Bewegung eine der drei Säulen der Präventivmedizin und ist wichtig, um vielen körperlichen (u. a. Krebs, Alzheimer, Schlaganfall) und emotionalen Störungen (Angststörungen, Depressionen) entgegenzuwirken.
Stress ist allgegenwärtig
Wir leben in komplexen Zeiten. Jeden Tag wirkt eine Vielfalt an Eindrücken, Verpflichtungen und Informationen auf uns ein und droht uns zu erdrücken. Auch wenn wir kürzer arbeiten, hat die Arbeitsverdichtung enorm zugenommen. Weniger Menschen sollen in kürzerer Zeit mehr erledigen. Die Folgen sind fatal. Der Stress, der bei solch einer Arbeitsverdichtung entsteht, führt unweigerlich zu Schlafstörungen und diese sind wiederum ein Nährboden für Stresskrankheiten.
Ein Heilmittel mit Imageproblemen
Immer erreichbar zu sein, Durchhaltevermögen und Schläfrigkeit finden gesellschaftliche Anerkennung. Wer aber rasch ermüdet, scheint einnickt oder zeitig zu Bett geht, wird belächelt. Sich ausreichend Schlaf zu gönnen, gilt in der Leistungsgesellschaft als verlorene Zeit, als Luxus, den man sich allenfalls am Wochenende oder im Urlaub genehmigen darf. Dabei gilt Schlaf gemäß neuesten Studien als eines der wichtigsten Mittel, um den nächtlichen physiologischen Reparaturbetrieb zu ermöglichen. Dadurch können die negativen Folgen des chronischen Stresses etwas vermindert werden.
Wir sind dazu gemacht, an frischer Luft und bei Sonnenschein oder Regen unserer Arbeit möglichst im Freien nachzugehen. Es ist höchste Zeit zum Entschleunigen.
Warum wir Schlaf benötigen
Wir verbringen ein Drittel unserer Lebenszeit mit Schlafen. Warum? Die Schlaffmedizin, die sogenannte Somnologie, ist eine junge Wissenschaft, sie ist immer mehr an Bedeutung für das Gesundheitswesen und die Präventivmedizin gewinnend. Schlafforscher haben herausgefunden, dass im nächtlichen Schlaf ein physiologischer Reparaturbetrieb seinen Dienst aufnimmt. Im Schlaf werden Körperzellen erneuert, Muskeln wachsen, Eiweißstoffe und frisches Blut werden produziert, neue Hautzellen werden gebildet und das Immunsystem wird gestärkt. Wunden heilen im Schlaf schneller. Zudem werden vermehrt Biomoleküle erzeugt, die die sogenannten freien Radikale (zellulärer Abfall) unschädlich machen. Im Gehirn findet jede Nacht ein Frühjahrsputz statt, der überschüssige Eiweiße, Fette und andere Moleküle mit Hilfe der Hirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquor) abtransportiert. Geschieht dies nicht, funktioniert die Signalverarbeitung nicht mehr reibungslos – die Konzentrationsfähigkeit sinkt, die Fehlerquote steigt, die körperliche und emotionale Belastbarkeit verringern sich. Der Schlaf fördert zudem die Lernfähigkeit, steigert das Erinnerungsvermögen und die Konzentrationsfähigkeit, schafft positive Gefühle und stärkt das logische Denkvermögen und die Entscheidungsfähigkeit.
Schlafdauer und Körpergewicht
Studien haben nachgewiesen, dass eine verkürzte Schlafdauer (weniger als fünf Stunden pro Nacht) und eine gestörte Schlafkontinuität bei gesunden Menschen bereits nach wenigen Tagen zu einer gestörten Stoffwechsellage führt, die zu Übergewicht und Diabetes überleiten kann. Hierbei spielen mehrere körpereigene Mechanismen eine Rolle. Wer zu wenig schläft, entwickelt einen gestörten Zuckerstoffwechsel. Der Körper kann den Zucker nicht rasch genug und in ausreichender Menge aus dem Blutkreislauf entfernen und in die Muskel- und Gehirnzellen transportieren (gestörter Glukosetoleranz). Zucker wird dann vom Körper in Fettsäuren umgewandelt und im Fettgewebe gespeichert. Das Körpergewicht nimmt zu. Dabei spielt ein weiterer Mechanismus eine wesentliche Rolle. Damit Zucker aus dem Blutkreislauf in die Muskelzellen befördert werden kann, benötigt der Organismus das Hormon Insulin. Dieses wird in der Bauchspeicheldrüse gebildet. Schlafmangel führt dazu, dass die Insulinausschüttung reduziert wird, und zum anderen reagieren die Zellen nach nur einer Nacht von Schlafmangel nicht mehr so empfindlich auf das Insulin.
Je niedriger sie ist, desto mehr ist das Hormon notwendig, um den Blutzuckerspiegel zu senken. Irgendwann erschöpft sich jedoch die Produktion von Insulin, und die Krankheit Diabetes (Zuckerkrankheit) stellt sich ein.
Zwei weitere Hormone spielen in der Gewichtszunahme bei Schlafmangel eine zentrale Rolle. Es kommt zu einer erhöhten Ausschüttung des appetitanregenden Hormons Ghrelin und einer Verminderung des Sättigungshormons Leptin. Unser Appetit auf hochkalorische Nahrungsmittel wird durch das Gaspedal (Ghrelin) angekurbelt, und da das Bremspedal (Leptin) unzureichend ausgeschüttet wird, nehmen wir an Gewicht zu. Die Folgen sind wiederum Übergewicht und die damit verbundenen sekundären Gesundheitsschäden (u. a. Bluthochdruck, Diabetes, Gelenkprobleme, koronare Herzkrankheiten).
Fazit
Schichtarbeit und die zunehmende Arbeitsverdichtung führen zu Stress und mehr Lebens- und Arbeitszeit in geschlossenen Räumen. Dadurch entsteht ein zunehmender Lichtmangel, der zu Energielosigkeit, Schlaf- und Essstörungen bis hin zu schweren Depressionen führen kann. Im Büro beträgt die Lichtintensität selten mehr als 500 Lux, in der Natur hingegen zwischen 8000 und 10000 Lux. Wir sind biologisch nicht dafür geschaffen, täglich acht bis zwölf Stunden im Büro vor einem PC zu sitzen oder im Flugzeug um die halbe Welt zu reisen. Der Zwang zur Beschleunigung, die ständige Erreichbarkeit und schnelle Verfügbarkeit in einer globalisierten Welt führen zur Auflösung unserer natürlichen Schlafrhythmen. Je mehr der Einzelne von den Bedürfnissen seiner inneren Uhr abweicht, umso größer wird sein Schlafdefizit.
Wir sind dazu gemacht, an frischer Luft und bei Sonnenschein oder Regen unserer Arbeit möglichst im Freien nachzugehen. Es ist höchste Zeit zum Entschleunigen. Zeiten der Stille sind Gefäße, die uns dabei helfen können, innerlich zur Ruhe zu kommen, Abstand zum Alltagsstress zu gewinnen und den erholsamen Schlaf zu fördern.“
„Sich ausreichend Schlaf zu gönnen, gilt in der Leistungsgesellschaft als verlorene Zeit, als Luxus, den man sich allenfalls am Wochenende oder im Urlaub genehmigen darf.“