Zu viel Nachdenken führt zu GRÜBELKEIT

 

Autorin: Dörthe Meisel, Dipl.-Psychologin
Ausgabe: Leben & Gesundheit, Juli/August 2025 - Optimismus

«Musste ich gleich so emotional reagieren? Warum passiert mir das ständig? Hätte ich bloß meinen Mund gehalten! …»

Unser Gehirnkino ist immer aktiv – bewusst oder unbewusst. Es produziert ständig neue Filme, kramt in alten Erinnerungen oder spielt schon mal eine Vorabversion der kommenden Verabredung vor; Themen, die uns beschäftigen, tauchen besonders häufig auf. Eine Spielpause gibt es nicht.

Manche Filme tauchen scheinbar aus dem Nichts auf und verschwinden wieder. Andere werden wieder und wieder abgespielt mit minutiösen Details einzelner Szenen und langen Monologen, mit kreisenden Fragen, die sich auch nach wochenlangem, sogar jahrelangem Nachdenken nicht beantworten lassen …

Dieses «Herumkauen» auf einem Problem zeigt, dass wir vom Weg des zielgerichteten Nachdenkens abgekommen sind und uns im Kreis drehen – ohne Ergebnis. Wir sind ungewollt ins Grübeln geraten! Wenn Sie sich unsicher sind, ob Sie gerade lösungsorientiert nachdenken oder unkonstruktiv grübeln, kann die «Zwei-Minuten-Regel» (Addis & Martell, 2014) hilfreich sein.

Ab wann wird es problematisch?

Die Forschungsergebnisse der letzten drei Jahrzehnte zeigen, dass häufiges Grübeln negative Stimmungen verstärkt und aufrechterhält. Außerdem führt es zu einer Zunahme negativer Gedanken und Erinnerungen, vergangene Erfahrungen werden schlechter bewertet, Konzentrations- und Entscheidungsschwierigkeiten nehmen zu, es ist schwieriger, ins Handeln zu kommen, zwischenmenschliche Beziehungen werden belastet und es können dadurch auch psychische Störungen wie Depression oder soziale Ängste entstehen.

Da es keine klare Trennlinie zwischen unproblematischem Gelegenheitsgrübeln und krankhaftem Dauergrübeln gibt, entscheiden Sie selbst, wann Sie etwas unternehmen wollen. Hinweise, wie Ihr «Zu-viel-Denken» aussieht, erhalten Sie in der Abbildung «Persönliche Grübelneigung» (Ehring et al., 2011).

Was veranlasst zum Grübeln?

Bestimmte Situationen wie Krankheit, Umzug, eine neue Arbeitsstelle oder der Verlust einer nahestehenden Person können uns in unserer Sicherheit und sozialen Geborgenheit erschüttern. Das sind häufig Phasen des vermehrten Nachdenkens bis hin zum Grübeln als eine Strategie, um Wege der Bewältigung zu finden.

Schwierig wird es jedoch, wenn wir die Situation nicht bewältigen können und unsere Grundbedürfnisse längere Zeit nicht gestillt werden. Wir erleben eine deutliche Diskrepanz zwischen dem, was wir brauchen, und dem, was die aktuelle Situation uns bietet. Damit bleiben unangenehme Gefühle bestehen.

Entscheidend: Wie denke ich?

Unser Geist produziert unablässig Filme. Wenn wir jetzt einen Schritt zurücktreten, können wir uns fragen: Warum wird gerade dieser Film gezeigt? Wir können über unser eigenes Denken nachdenken. Adrian Wells, Professor an der University of Manchester, konnte zeigen, dass Grübeln dann zur Gewohnheit wird, wenn wir uns etwas vom Grübeln versprechen. Überzeugungen wie «Wenn ich mir Sorgen mache, werde ich vorbereitet sein» oder «Um das Problem zu lösen, muss ich es erst genau analysieren» beeinflussen den Spielplan unseres Kinos, sodass bestimmte Filme wiederholt gezeigt werden.

Achtung: Falle!

Gleichzeitig bestehen häufig auch negative Gedanken über das Grübeln, wie «Grübeln ist unkontrollierbar» oder «Wenn ich weiter so viel grüble, werde ich als psychisches Wrack enden». Diese Gedanken führen jedoch nicht dazu, dass man Abstand nimmt, sondern dass man sich zunehmend hilfloser fühlt und noch mehr grübelt – nämlich über das Grübeln selbst!

Das Gehirnkino verändern – entwickeln Sie Selbstwirksamkeit

Unsere Selbstwirksamkeitserwartung spielt eine bedeutende Rolle: Wie groß ist mein Vertrauen, dass ich aufgrund meiner Fähigkeiten etwas bewirken und verändern kann, dass mein Verhalten einen Einfluss hat auf die Dinge und die Welt um mich herum?

Erinnern Sie sich an Erfolgserlebnisse, bei denen Sie durch Worte und Taten etwas bewirkt haben – bei sich selbst oder bei anderen. Auch das Beispiel von Vorbildern und die Ermutigung durch andere sind dabei sehr förderlich.

Meinen Sie, dass Ihnen das Sich-Sorgen-Machen hilft, beim nächsten Mal vor­bereitet zu sein, wenn etwas schiefgeht?

Praktisch umgesetzt – Strategien gegen Grübeln

  • Erkennen Sie Grübeln: Wiederkehrende Themen, kreisende Gedanken, zunehmende Kraftlosigkeit.

  • Achten Sie auf Ihr Kopfkino: Beobachten Sie, welche Filme laufen, und lassen Sie unproduktive Gedanken weiterziehen – wie Wolken am Himmel.

  • Prüfen Sie Ihre Überzeugungen: Hilft Grübeln wirklich oder gibt es bessere Strategien?

  • Verschieben Sie Grübelgedanken: Legen Sie tägliche «Grübelzeiten» fest, um Abstand zu gewinnen.

  • Richten Sie den Fokus neu aus: Trainieren Sie, auf Positives und Wohltuendes zu achten, führen Sie ein Dankbarkeitstagebuch.

  • Lernen Sie Problemlösung: Stellen Sie konkrete Fragen («Was fühle ich?» statt «Warum?») und entwickeln Sie Schritte.

  • Setzen Sie realistische Ziele: Unrealistische oder fehlende Ziele fördern Grübeln; nutzen Sie z. B. «expressives Schreiben».

Übung macht den Meister!

Diese Strategien brauchen wiederholtes Üben, um effektiv zu sein. Besonders hilfreiche Methoden sollten als Gewohnheit in den Alltag integriert werden.

Weiter gedacht …

Grübelschleifen beginnen vielfach dort, wo Bedürfnisse unerfüllt sind – ungewollt Single, von der «Traumfrau» verlassen, beruflich degradiert, finanziell betrogen oder ärztlich fehlbehandelt. Untersuchungen zeigen, dass ein akzeptierender, nicht-wertender Umgang mit diesen Erfahrungen das Grübeln deutlich reduziert.

Doch wie kann ich diese Akzeptanz finden? Die Erfahrung zeigt: «Wer ein WARUM zum Leben hat, erträgt fast jedes WIE.» (Friedrich Nietzsche).

Dass dir die Vögel (des Kummers und der Sorge) in der Luft über dem Haupte hinfliegen, dem kannst du nicht wehren; wohl aber kannst du dem wehren, dass sie dir in den Haaren ein Nest machen.

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LEBENSTIEFEN – Belastung oder Bereicherung?

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WENN FREUDE FLIEGT UND OPTIMISMUS TRÄGT