Tiefe Intimität und Sexualität erleben
Autor/in: Dr. Daniel Pazanin (Doktor der Beratungspsychologie, dipl. Theologe)
Ausgabe: Leben & Gesundheit, Juni/2019 - Beziehungen
Der Mensch wird mit dem tiefen Bedürfnis geboren, «zu lieben» und «geliebt zu werden». Die ganze Existenz des Menschen und der Sinn seines Daseins sind eng mit dieser Liebe verbunden. Was wäre das Leben wert, wenn es die Liebe nicht gäbe? Welchen Sinn würde das Leben dann überhaupt haben?
Sehnsucht stillen
Der Mensch ist auf der Suche nach einer intimen und tiefen Verbindung, die spürbar ist. Viele kennen den Weg dahin nicht oder haben falsche Vorstellungen davon.
Es scheint, dass der moderne Mensch mit wenig Geduld und «persönlichem Engagement» zu seinem Glück der «schnellen Liebe» finden möchte. Das «Greifbare» an der Liebe scheint sich zügig in der «Sexualität» wiederzufinden. Darin «erspürt» der Mensch die Nähe eines anderen Menschen und fühlt sich vorerst verbunden.
Die Wirtschaft und die Medien haben die «greifbare Liebe», «sex sells», erkannt und sich auf den mechanisch-technischen Teil der «Performance» und «Ästhetik» der Sexualität konzentriert, denn hier kann man als «Dritt-Anbieter» am meisten vom Markt profitieren. Die Aspekte, denen man sich dann widmet, sind: Wie oft hat man Sex? Welche Proportionen sind ideal? Die Ausdauer, Länge und Standhaftigkeit des männlichen Geschlechtsteils, Brustvergrößerung, kosmetische Operationen, Stellungstechniken, Sexspielzeuge etc.
Auch wenn dieser Gesichtspunkt nicht zu unterschätzen ist, wird gleichzeitig durch diese einseitige Betonung die Schönheit und Leiblichkeit der Sexualität stark verkürzt.
Viele empfinden diese Sehnsucht nach intimer Liebe, doch kennen sie den Weg dahin nicht oder haben falsche Vorstellungen davon.
Diese Verkürzung oder Reduzierung der Sexualität auf «Ästhetik und Performance» hat der liebenden, menschlichen Beziehung Schaden zugefügt und die Sehnsucht des Menschen nach tiefer Intimität überhaupt nicht erfüllt!
Sie suggeriert dem Menschen, dass «guter Sex» nur dann stattfindet, wenn der Schwerpunkt auf der «Äußerlichkeit» und der «Leistung» liegt. Auf diese Weise beginnt auch die unersättliche Jagd nach Sex – die letztendlich auch in eine «Sucht» münden kann, denn die Sucht «sucht» und findet die Erfüllung nicht!
Aber wie erreicht man dann die Erfüllung und Zufriedenheit?
Tiefere Intimität und Sexualität werden nur durch eine «ganzheitliche» Verbindung und Zuwendung zu seinem/r Partner/in erfahren und erreicht.
Das biblische Menschenbild hat die besten Voraussetzungen, tiefe Intimität und eine erfüllte Sexualität zu fördern, da es keine Hierarchie zwischen der körperlichen, geistlichen, geistigen und emotionalen Ebene kennt, sondern den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit als «lebendige Seele» bezeichnet. Von großer Hilfe ist auch, dass im Schöpfungsbericht der Mensch als Mann und Frau «gleichwertig» angesehen wird und die Partner in einer Beziehung stets aufgefordert werden, sich gegenseitig zu respektieren und die Beziehung in Ehre und Würde zu halten.
Diese Ganzheitlichkeit, Gleichwertigkeit und gegenseitige Wertschätzung führen zu Konsequenzen im eigenen Verhalten und in der Einstellung.
Auf der körperlichen Ebene bedeutet das:
Seinen eigenen Körper anzunehmen und wertzuschätzen!
Die Fragen, die man sich beantworten sollte, lauten: Habe ich meinen Körper angenommen? Stehe ich zu meinem Körper? Habe ich meinem Partner / meiner Partnerin auch mitgeteilt, welche Berührung ich bevorzuge und was mir besonders guttut? Wie zeige ich meinem Körper gegenüber Wertschätzung? Pflege ich meinen Körper täglich und gehe ich achtsam mit ihm um?
Den Körper des Partners / der Partnerin anzunehmen und wertzuschätzen!
Habe ich den Körper meines Partners oder meiner Partnerin angenommen? Kenne ich ihn gut und weiß ich, was ihm oder ihr gefällt? Wie zeige ich diese Wertschätzung?
Wenn wir diese Fragen nicht positiv beantworten können, wird das sexuelle Erleben verkürzt, weil wir zu unserem Körper oder zum Körper des Partners / der Partnerin keine Beziehung aufgebaut haben und somit auch nicht wirklich diesen «erleben und genießen» können.
Selbstverständlich gilt: Wenn kein Interesse am eigenen Körper besteht oder dieser vernachlässigt wird, entschwindet auch der Körper des Partners in die «Bedeutungslosigkeit». Die negative Auswirkung auf die Sexualität kann man sich gut vorstellen.
Auf der emotionalen Ebene der Partnerschaft bedeutet es:
Sich selbst emotional wahrzunehmen.
Hier hilft die Reflexion über diese Fragen: Wie ist meine emotionale Grundstimmung? Habe ich eine liebevolle Haltung zu mir selbst? Liebe ich mich selbst? Bin ich mit meinem Leben zufrieden?
Den Partner emotional wahrzunehmen.
Hier helfen die Fragen: Wie schaut die «Gefühlswelt» meines Partners oder meiner Partnerin aus? Was beschäftigt ihn/sie? Kenne ich seine/ihre Gefühle?
In beiden Punkten gilt es zu klären, wie die emotionale Beziehungslandschaft ausschaut und welche emotionale Interaktion überhaupt stattfindet. Bin ich bei dir sicher? Kann ich dir vertrauen? Erlebe ich in unserer Beziehung Warmherzigkeit und Mitgefühl?
Wenn es in der Beziehung auch nur einen versteckten Ansatz von Ärger, Frust und Bitterkeit gibt oder sich die Enttäuschung breitgemacht hat, neigt man dazu, sich gegenüber dem anderen zu verschließen. Innere emotionale Kälte behindert natürlich die Sexualität und mindert die intime Verbindung.
Auf der geistigen Ebene der Partnerschaft bedeutet es:
Meine eigenen Gedanken und Ansichten zu haben und sie wertzuschätzen.
Die Gedanken meines Partners zu kennen und zu schätzen.
Tauschen wir uns gedanklich genug aus? Zeigen wir reges Interesse an den Gedanken des anderen? Respektieren wir auch unterschiedliche Meinungen und zeigen wir, dass wir uns gegenseitig achten?
Wenn in einer Beziehung kein Gedankenaustausch stattfindet oder wir die Gedanken des anderen entwerten, belächeln und ihn/sie als «dumm» darstellen, mag man zwar denken, dass das dem eigenen «Ego» nützt, aber dem intimen Erlebnis und der Verbindung gekündigt wird. Sex ohne geistigen Austausch ist wirklich langweilig, geistlos!
Viele empfinden diese Sehnsucht nach intimer Liebe, doch kennen sie den Weg dahin nicht oder haben falsche Vorstellungen davon.
Auf der geistlichen Ebene der Partnerschaft bedeutet es:
Bereit zu sein, Gott in die Beziehung mit einzubeziehen.
Die Forschung hat gezeigt, dass, wenn Paare füreinander beten, gemeinsam Gottesdienste besuchen und religiöse Feiertage beachten, die Zufriedenheit der Beziehung steigt.
Der geistliche Aspekt beeinflusst alle Bereiche des Menschen und ist für das Wachstum und die «Charakterentwicklung» zuständig. Deswegen ist er ein fundamentaler Bestandteil der intimen Verbindung.
Wachstum des Menschen geschieht dadurch, dass er Werte und Gesetzmäßigkeiten, die lebens- und liebesbejahend sind, annimmt, sich willentlich dafür entscheidet, sie verinnerlicht, kultiviert und sich nach positiven Idealen ausrichtet, die man selbst noch nicht erreicht hat und die im eigenen Maßstab nicht vorhanden sind.
Nur Werte, die ein hohes Niveau oder Ideal aufweisen wie z. B. «Vergeltet Böses nicht mit Bösem!», «Liebe deine Feinde», «Vergib denen, die dir Unrecht getan haben!», «Liebe Gott von ganzem Herzen und ganzer Seele und deinen Nächsten wie dich selbst!» lassen den Menschen in seiner Persönlichkeit wachsen und sich zum Positiven verändern. Dieser Prozess zur positiven Charakterentwicklung ist zugleich das Fundament für die gesteigerte Verbindungsqualität, die sich wiederum in einer freudigen und erfüllten Sexualität widerspiegelt.
Wenn man eine tiefe Intimität und Sexualität mit dem Partner erleben möchte, muss man vom einseitigen Ansatz «Performance und Ästhetik» zur «ganzheitlichen Verbindung», die auf einer echten Beziehung zum Partner hin ausgerichtet ist, umsteigen.
Die Sexualität ist die Symphonie, das Duett, die Melodie, welche den momentanen Stand der Beziehungsqualität ausdrückt. Sie ist die Darstellung und Lebensgeschichte zweier Charaktere, zweier Persönlichkeiten, wie sie es geschafft haben, in den verschiedenen Bereichen ihres Daseins aufeinander zuzugehen und sich abzustimmen.
Wenn sich Menschen nicht mehr berühren, ihre Sexualität vernachlässigen oder Probleme mit der Sexualität haben, weist dies oft darauf hin, dass sie sich auf den anderen Ebenen der Begegnung «nur wenig» oder «gar nichts mehr» zu sagen haben und in ihrer Beziehungswelt einsam sind. Eine tiefe, ganzheitliche Intimität und Sexualität entsteht nicht im Eilschritt. Sie braucht Zeit, Geduld, Eigenverantwortung und Charakter. Je mehr wir uns Tag für Tag «näher kommen», besser «kennenlernen» und in der gegenseitigen Annahme und Wertschätzung auf den aufgezeigten Ebenen wachsen, desto tiefer, reifer und auch intensiver werden die Verbindung und die Sexualität erlebt. Erst eine «ganzheitliche Intimität» ermöglicht einen tiefen, erfüllten und reifen Ausdruck und Austausch in der Sexualität, die weniger Gefahr läuft, langweilig und kurzlebig zu werden.
Bist du bereit, gute Sexualität und tiefe Verbindung zu kultivieren? Es wird sich lohnen!
„Wenn man eine tiefe Intimität und Sexualität mit dem Partner erleben möchte, muss man vom einseitigen Ansatz «Performance und Ästhetik» zur «ganzheitlichen Verbindung», die auf einer echten Beziehung zum Partner hin ausgerichtet ist, umsteigen.“