Hätte, wenn und aber –Wie entscheiden wir?

Autor/in: Markus Witte (Unternehmer und Berater)

Ausgabe: Leben & Gesundheit, März/2019 - Prioritäten

 

Die Entscheidungswerkstatt

Anna kam ins Seminar und sagte gleich in der Vorstellungsrunde, es sei ihr sehr schwer gefallen, sich zu entscheiden. Denn bewusste Entscheidungen zu treffen, sei nie ihre Stärke gewesen. Annas innere Logik sagte, es sei besser, wenn andere vorgingen, denn falls sie fallen, könne sie sich kurz vor dem Abgrund noch retten. So beschrieb Anna nach langem Hin und Her zwei Zettel mit «ja» und mit «nein» und zog das Los. Erst auf diese Weise begegneten wir uns. – Viele Unentschlossene würfeln oder ziehen das Los. Doch wie kann jemand behaupten, Anna sei unentschlossen? Es war doch ihr bewusster Entschluss, das Los zu ziehen. Wie können wir wissen, was das Beste für uns ist? Eigentlich weiß man dies doch immer erst im Nachhinein, oder?

Eine Formel gegen die Angst

Wie treffen wir Entscheidungen, die uns unseren Zielen näherbringen? Der Ökonom G.L.S. Shackle schrieb vor einem halben Jahrhundert: «Eine Entscheidung ist die Festlegung auf eine Handlung, deren potenzieller Nutzen ihren potenziellen Schaden in einem größeren Maß übertrifft als die der alternativ zur Verfügung stehenden Handlungsweisen.»

Vor einiger Zeit traf ich einen Coach in der Nähe von London. Er sagte mir aus seiner Erfahrung, viele hätten Angst, eine Entscheidung zu treffen, und sie hätten Angst, sich später einmal eingestehen zu müssen, etwas falsch entschieden zu haben. Dieses innere Schamgefühl wollen wir in jedem Fall vermeiden. Die «Ich bereue nichts»-Haltung ist weit verbreitet. Wir wollen stolz darauf sein, uns richtig entschieden zu haben.

Jeden Tag müssen wir Entscheidungen treffen – regelmäßig auch solche, die viel mehr Gewicht haben als nur die Teilnahme an einem Seminar. Wie können wir also im Alltag gute Entscheidungen fällen? Anna hätte gern eine Faustformel, ein festes Algorithmusgehalt, ein eindeutiges Handlungsverfahren, das in jeder Situation funktioniert.

Unsere Entscheidungskompetenz erhöhen

Zahlreiche alltägliche Entscheidungen treffen wir, ohne viel nachzudenken. Aber wenn komplexere Entscheidungen mit großer Tragweite vor uns liegen, die mit hoher Unsicherheit behaftet sind oder erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen – dann wollen wir sicher sein, kompetent gehandelt zu haben. Dazu müssen wir uns zunächst unterschiedlicher Ansätze bei der Entscheidungsfindung bewusst werden:

1. Zufällige Entscheidungen
treffen wir, wenn wir würfeln oder eine Münze werfen. Oder so wie bei Anna, wenn wir ein Los ziehen. Dann überlassen wir die Entscheidung dem sogenannten «Schicksal», also dem Zufall. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt, kann dabei mathematisch genau berechnet werden.

2. Intuitive Entscheidungen
stützen sich auf unser Bauchgefühl. Warum verlassen wir uns auf unser Gefühl? Weil wir häufig bei komplexeren Entscheidungen mit unserer Intuition gut gefahren sind. Doch inwieweit werden wir durch unser Gefühl getäuscht, wenn es die objektiv beste Entscheidung gibt? Warum erklären Menschen tendenziell die Vergangen-
heit, treffen sie vielleicht nicht die optimale Entscheidung für die Zukunft? Psychologen haben dazu festgestellt, dass unsere Erinnerungen systematisch verzerrt sind. Das Ziel unseres menschlichen Handelns zielt darauf ab, positive Emotionen und nicht allein nüchterne und abstrakte Nutzenmaximierung zu erhalten. Reue ist unmodern geworden, weil man zugeben müsste, einen Fehler gemacht zu haben. Doch diese ist für die Lösungskompetenz unserer Intuition wichtig. Nur wenn wir uns mit uns selbst auseinandersetzen, können wir unser Lernpotential aktivieren – um nicht den gleichen Fehler noch einmal zu begehen.

3. Analytisch gestützte Entscheidungen
treffen wir, wenn wir insbesondere die zu beantwortende Frage mit Hilfe von Logik in Einzelbestandteile zerlegen. Das Problem mit einem rein analytischen Ansatz ist nur, dass wir bei all der Kopfarbeit oft unsere Intuition vergessen, die uns vielleicht bessere Lösungen präsentieren würde. Psychologieprofessor Gerd Gigerenzer betonte, dass Bauchentscheidungen dann besonders gut funktionieren, wenn sie auf Fachwissen aufbauen. Daher verbinden manche Techniken bewusst Intuition und Analyse, um sowohl Gefühl als auch Verstand einzusetzen.

Ein reines Durchdenken im Kopf verschafft uns oft nicht den Überblick, den ein Diagramm oder eine Tabelle ermöglicht.

Sich die Dinge vor Augen führen

Visualisierung ist wesentlich, und Entscheidungswerkzeuge helfen uns, eine Übersicht über die möglichen Optionen sowie deren Vor- bzw. Nachteile zu erhalten. So haben die meisten Werkzeuge den Nutzen, dass uns die verschiedenen Möglichkeiten und Argumente bewusst werden, wenn wir uns diese im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen führen. Ein reines Durchdenken im Kopf verschafft uns nicht den Überblick, den ein Diagramm oder eine Tabelle ermöglicht. Doch welche Entscheidungswerkzeuge haben sich in der Praxis besonders bewährt?

T-Diagramm

Am meisten bekannt ist das sogenannte T-Diagramm bzw. die Pro-und-Contra-Liste. Es besteht aus einer Tabelle mit zwei Spalten, bei denen man die Argumente «Pro» und Gegenargumente «Contra» einer Entscheidung untereinander auflistet. Helfen können dabei vier zentrale Fragen:

  • Was wird geschehen, wenn ich es tue?

  • Was wird geschehen, wenn ich es nicht tue?

  • Was wird nicht geschehen, wenn ich es tue?

  • Was wird nicht geschehen, wenn ich es nicht tue?

Mit dem T-Diagramm kann man direkt alles auf einen Blick gegeneinander abwägen. Bei mehreren Alternativen wird es jedoch schnell unübersichtlich, da helfen dann andere Werkzeuge.

Entscheidungs-Mindmap

Vielen Menschen sind die sogenannten Mindmaps bekannt. Es ist ein grafisches Hilfsmittel, um komplexere Zusammenhänge eines Themas strukturierter darzustellen. Bei einer Entscheidungs-Mindmap wird das gleiche Prinzip auf die Wahl möglicher Alternativen angewandt. Die Äste der Mindmap stellen die Alternativen dar, die weiteren Verästelungen die Vor- und Nachteile jeder Alternative. Der Vorteil besteht in der großen Übersichtlichkeit. Allerdings können hier die Vor- und Nachteile nicht gewichtet werden, was bei einer Entscheidungs­matrix deutlich besser gelingt.

K.o.-System

Schon Niccolò Machiavelli schrieb: «Wir müssen daher bei all unseren Entschlüssen erwägen, wo das kleinere Übel liegt, und den danach gefassten Entschluss für den besten halten.» Das Prinzip wenden wir beim K.o.-System an. Man beginnt mit der Erstellung einer Kriterien-Liste, die möglichst exakt sein muss. Dann lässt man immer zwei Optionen vor dem Hintergrund der Kriterien gegeneinander antreten, der «Sieger» kommt eine Runde weiter. Wie beim Sport im Pokalwettbewerb bleibt am Ende nur eine Option übrig.

Gewichtete Entscheidungsmatrix

Die gewichtete Entscheidungsmatrix ist ein exzellentes Instrument, denn nicht alle Kriterien sind gleich wichtig. Um dies abzubilden, bekommt jedes Kriterium Prozentpunkte (in Summe 100 %), sodass wir die Kriterien in eine Rangfolge bringen. Wir tragen dann alle Alternativen und Kriterien in eine Tabelle ein und vergeben Punkte (z. B. auf einer Skala von 1 bis 5) für den Erfüllungsgrad. Am Ende multiplizieren wir die Punkte mit dem Gewichtungsfaktor (Prozentpunkt). Die höchste Punktzahl gewinnt. Und dieses Ergebnis könnten wir auch noch einmal mit unserem Bauchgefühl abgleichen.

Das kollektive Gehirn

Egal welches Werkzeug wir zur Veranschaulichung nutzen, in den meisten Situationen müssen wir abschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Ereignis eintritt. Dazu bedienen wir uns oft unserer Erinnerung, die jedoch nicht so exakt ist, dass wir auf einer objektiv guten Datengrundlage arbeiten könnten. Hinzu kommt, dass wir Menschen unterschiedliche Vorstellungen und Bedürfnisse hinsichtlich dessen haben, wie wir uns entscheiden möchten. Daher ist eine Kombination mehrerer Entscheidungstechniken oft die beste Wahl.

In der Wirtschaft werden Entscheidungen zunehmend in Teams getroffen, um so eine möglichst breite Datengrundlage und viele Erfahrungshintergründe einzubeziehen. Dies könnte neben den unterschiedlichen analytischen Werkzeugen, gepaart mit unserer Intuition, auch ein Weg zu höherer Entscheidungskompetenz im Privatleben sein. Voraussetzung ist, Sie umgeben sich mit Ihren «Experten», die die Fragestellung ebenfalls durchdringen und über relevantes Erfahrungswissen verfügen.

Und: Schlafen Sie eine Nacht darüber, nehmen Sie sich die Zeit und Ruhe, eine Entscheidung gut vorzubereiten – ohne Stress. Manche Menschen beziehen dann auch noch eine höhere Macht in die Entscheidung ein, sie beten darüber. Und bei all dem vergessen Sie nicht:
Keine Entscheidung bereuen wir mehr als diejenige, uns nicht aktiv entschieden zu haben.

Keine Entscheidung bereuen wir mehr als die Entscheidung, uns nicht aktiv entschieden zu haben.

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Priorität ICH: Was stärkt das Bewusstsein meiner Einzigartigkeit?